Berlin/Rom – Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) wirft der libyschen Regierung eine Bedrohung ihrer Seenotretter im Mittelmeer vor. "Nicht wir handeln illegal, sondern die libysche Regierung, wenn sie unseren Mitarbeitern droht, legale Rettungsaktionen in internationalen Gewässern mit Gewalt zu verbieten", so Ärzte ohne Grenzen Deutschland am Montag.

Die libysche Marine hatte am Donnerstag erklärt, ausländische Schiffe dürften die Küste des Landes ohne eine besondere Erlaubnis der libyschen Behörden nicht mehr ansteuern. Daraufhin erklärte Ärzte ohne Grenzen, ihr Schiff Prudence werde vorläufig nicht mehr auslaufen.

ORF-Korrespondentin Mathilde Schwabeneder aus Rom über das schärfere Vorgehen der libyschen Küstenwache und darüber, wer die Agenden der NGOs übernehmen soll.
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"Es werden mehr Menschen im Mittelmeer sterben, weil es weniger Schiffe vor Ort gibt, und es werden mehr Menschen in Libyen inhaftiert bleiben", kritisierte der Deutschlandchef der Organisation, Volker Westerbarkey, in der Zeitung "Die Welt". Das nordafrikanische Land sei "ein Ort der Gesetzlosigkeit, willkürlichen Inhaftierung und extremen Gewalt".

Grafik: APA

Die Prudence ist das größte Schiff von Ärzte ohne Grenzen und eines der größten von Hilfsorganisationen im Mittelmeer überhaupt. Die Besatzung hatte allein im Mai 1.500 Flüchtlinge aufgenommen. Auch die Hilfsorganisation Sea-Eye hatte am Wochenende erklärt, unter den derzeitigen Umständen sei der Einsatz vor der libyschen Küste nicht möglich.

Mit dem Schritt, ihre Rettungseinsätze für Flüchtlinge im Mittelmeer auszusetzen, protestiert die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) nicht nur gegen die gegenwärtigen Umstände. Der "offenbar langfristige Plan" der EU und Italiens, gerettete Flüchtlinge zurück nach Libyen zu bringen, sei "extrem besorgniserregend", wie ein MSF-Mitarbeiter am Montag im APA-Interview erklärte.

Zwar würden im Moment "natürlich" keine Personen, die sich von der libyschen Küste auf nach Europa machen und von Hilfsorganisationen im Mittelmeer gerettet werden, in das nordafrikanische Land zurückgebracht. "Doch in diese Richtung geht der Plan der EU", meinte Stefano Argenziano, MSF-Migrationskoordinator.

"Libyen ist kein sicheres Land"

Die "Tendenz", die Menschen bereits vor ihrem Eintritt in die Europäische Union zu "blockieren" und in Libyen "festzuhalten", sei bereits seit einiger Zeit erkennbar. "Und dagegen protestieren wir schon jetzt", so Argenziano. Denn: "Libyen ist kein sicheres Land, die Menschen dort sind extremer Gewalt ausgesetzt. Über 30 Prozent jener, die wir im Mittelmeer aufgreifen, wurden Opfer von systematischer Gewalt. Wenn wir die Menschen nach Libyen bringen, kommt das einem Todesurteil für sie gleich – oder zumindest einem Leben unter dauerhafter Gewalt."

Ärzte ohne Grenzen fordert "legale Lösungen für die Probleme". Bisher sei die Politik nur an einem "Push-back" möglichst vieler Geflüchteten interessiert, betonte Argenziano. Alternative Lösungen gebe es nicht, denn auch die Idee von sogenannten Hotspots in Libyen – ein Land ohne international anerkannter, einheitlicher Regierung – sei "extrem unrealistisch", weil "technisch und ethisch unmöglich".

Libysche Such- und Rettungszone

Ärzte ohne Grenzen hatte am Samstag angekündigt, ihre Flüchtlingsrettungseinsätze aufgrund von Sicherheitsbedenken auszusetzen. Zuvor hatten die libyschen Behörden eigenmächtig die Einrichtung einer Such- und Rettungszone angekündigt und damit den Zugang für Schiffe von Hilfsorganisationen zu internationalen Gewässern vor der libyschen Küste eingeschränkt. Dieser Schritt sei "definitiv" auch von Italien und der EU beeinflusst und bestärkt worden, vermutete MSF-Experte Argenziano. Die libysche Küstenwache sei, seitdem sie vermehrt von der EU unterstützt und trainiert wird, ein "bevollmächtigter Vertreter der Europäischen Union", kritisierte er.

Ihre Arbeit will die Hilfsorganisation nach Aussagen Argenzianos erst wieder aufnehmen, wenn die "internationalen Regulierungen wieder von allen Seiten respektiert werden". Außerdem lehne es MSF ab, Einsätze unter Koordination der libyschen Küstenwache durchzuführen oder Flüchtlinge zurück in das krisengebeutelte Land zu schicken, bekräftigte er. (APA, red, 14.8.2017)