Kein einziges Kraftwerk dürfe geschlossen werden, soll die Netzstabilität auch in Zukunft garantiert werden können, meint die Vorstandssprecherin der Netzgesellschaft Austrian Power Grid, Ulrike Baumgartner-Gabitzer.

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Österreich gehört zu jenen Ländern in Europa, wo der Strom in der Regel nur sehr kurz wegbleibt, wenn überhaupt. Und dann bleibt es meist bei kleinräumigen Ereignissen, wenn wieder einmal infolge eines Sturms Bäume Leitungen beschädigt haben. Doch die Gefahr eines großräumigen Stromausfalls, genannt Blackout, steigt, je mehr nicht steuerbare Energie aus Wind und Sonne sich im Netz befindet.

STANDARD: Ist die Gefahr eines Blackouts im Sommer größer oder im Winter?

Baumgartner-Gabitzer: Das kann man so nicht sagen. Wir haben sehr schwierige Situationen im Winter gehabt – wegen der großen Kälte und der einmaligen Situation, dass im Jänner mehrere Kernkraftwerksblöcke in Frankreich und Belgien aus Sicherheitsgründen vom Netz gehen mussten. Und auch jetzt stehen wir vor teilweise schwierigen Situationen, weil die Wasserführung extrem niedrig ist und zum Teil auch Windflaute herrscht.

STANDARD: Hat die Wahrscheinlichkeit eines Totalausfalls der Stromversorgung zugenommen?

Baumgartner-Gabitzer: Es geht immer mehr an die Grenzen. Die Energiewende braucht in Wirklichkeit – wie manche sagen – ei-ne Netzwende. Der Zubau erneuerbarer Energien wie Wind und Fotovoltaik muss mit dem Ausbau der Leitungen synchron gehen.

STANDARD: Sie selbst stehen seit Anfang 2014 an der Spitze der Austrian Power Grid (APG). Wie viele brenzlige Situationen gab es seither?

Baumgartner-Gabitzer: Das lässt sich schwer in einer Zahl ausdrücken. Es wird jedenfalls zunehmend komplexer.

STANDARD: Die Bevölkerung bekommt davon so gut wie nichts mit.

Baumgartner-Gabitzer: Das ist auch das Ziel.

STANDARD: Wünschen Sie sich manchmal nicht, dass es anders wäre? Sie bekämen dann wohl mehr Unterstützung für Ihre Forderung, Leitungen auszubauen.

Baumgartner-Gabitzer: Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, den Teufel an die Wand zu malen. Bisher haben wir die Situation gut im Griff, auch wenn die Herausforderungen größer werden. Wir fühlen uns von den Behörden und auch vom Großteil der Bevölkerung nicht schlecht unterstützt.

STANDARD: Bei der Salzburgleitung auch? Das Verfahren für die geplante Errichtung der 380-Kilovolt-Leitung zieht sich auch schon 50 Monate hin.

Baumgartner-Gabitzer: Bei großen Infrastrukturprojekten gibt es immer Gegner. Meist Anrainer oder Betroffene, die wie in Salzburg der Meinung sind, dass Erdkabel verlegt werden sollten. Die Technologie muss aber den Experten überlassen werden, weil wir ja auch die Leitung sicher betreiben müssen. Und eine Freileitung ist noch immer viel sicherer als die Kabelvariante.

STANDARD: In Deutschland werden Starkstromleitungen zunehmend vergraben, weil die Bevölkerung so viel Druck macht. Was ist in Österreich anders?

Baumgartner-Gabitzer: In Deutschland sind es Gleichstromleitungen, die vergraben werden, und auch das sind Pilotprojekte. In Salzburg hingegen handelt es sich um eine Wechselstromleitung. Das sind typischerweise lange Übertragungsstränge. Auch bräuchten wir im Fall eines Erdkabels eine sehr große Fläche – wie eine Autobahn. Bei den beengten Verhältnissen in Salzburg geht das nicht. Hinzu kommt, dass die Deutschen mit der vorgeschriebenen Verkabelung um Jahre, wenn nicht um ein ganzes Jahrzehnt zurückgeworfen sind in ihrer Planung.

STANDARD: Könnte es sein, dass die Deutschen mit dem Kabel noch ihr blaues, sprich teures Wunder erleben?

Baumgartner-Gabitzer: Teuer ist es auf jeden Fall, wobei das gar nicht unser Hauptargument ist. Wir sorgen uns um die Betriebssicherheit. Wir sind nachgewiesenermaßen betriebssicherer mit der Freileitung als mit dem Kabel. Dort, wo Erdkabel vergraben sind, wie etwa in Wien, ist die Fehlersuche viel schwieriger und zeitraubender.

STANDARD: Die APG betreut ein Netz mit rund 3500 Kilometern Hoch- und Höchstspannungsleitungen. Wie viele Kilometer fehlen noch, um bei zunehmender Beanspruchung ein Flackern des Wohnzimmerlichts zu verhindern?

Baumgartner-Gabitzer: Im aktuellen Netzentwicklungsplan für die nächsten zehn Jahre finden sich neue Leitungsprojekte im Ausmaß von rund 370 Kilometern. Es geht aber nicht nur um Neubau – darüber hinaus gibt es eine Reihe von Upgrades und Sanierungen bestehender Leitungen. Vor allem aber müssen wir so schnell wie möglich die Salzburgleitung an das Netz bekommen. Der Bau wird sich über vier Jahre erstrecken.

STANDARD: Für 114 Kilometer?

Baumgartner-Gabitzer: Wir müssen etwa auf Brutzeiten von Vögeln und anderer Tiere achten, können also nur gewisse Zeitfenster nützen.

STANDARD: Das Bundesverwaltungsgericht hat Ende Juli über den Einspruch von Gegnern der Salzburgleitung beraten, ein Ergebnis soll bis Ende des Jahres vorliegen. Wovon gehen Sie aus?

Baumgartner-Gabitzer: Wir hoffen auf einen positiven Bescheid. Die Gegner werden voraussichtlich zu den Höchstgerichten gehen, das heißt, bis Baubeginn wird noch etwas Zeit verstreichen.

STANDARD: Was wäre der Worst Case?

Baumgartner-Gabitzer: Wenn wir keine Genehmigung bekämen, womit wir aber nicht rechnen. Wir haben eines der bestgeprüften Verfahren, die Einreichunterlagen umfassen 11.000 Seiten und beinhalten 1200 Pläne.

STANDARD: Experten bezweifeln, dass mit zunehmend dezentraler Stromerzeugung so massive Übertragungsnetze notwendig sind.

Baumgartner-Gabitzer: Was wir derzeit im Netzentwicklungsplan als Projekte stehen haben, werden wir auch bei einer Dezentralisierung brauchen. Wir wissen außerdem nicht, wie schnell es in welche Richtung gehen wird. Aber auch eine Dezentralisierung braucht ein starkes Übertragungsnetz.

STANDARD: Die Austrian Power Grid ist reguliert, die E-Control, salopp gesagt, für die Einnahmen verantwortlich. Das ist bequem, man kann wenig falsch machen, oder?

Baumgartner-Gabitzer: Wir werden jedes Jahr intensiv geprüft und müssen Rede und Antwort stehen, was die Kosten betrifft. Bequem ist da nichts.

STANDARD: Mit der Ökostromnovelle haben Sie jetzt die Möglichkeit, schnell hochfahrende thermische Kraftwerke mehrere Jahre unter Vertrag zu nehmen. Zufrieden?

Baumgartner-Gabitzer: Nein. Wir hätten gern mehr gehabt und brauchen auch mehr. Wir haben derzeit 2400 Megawatt unter Vertrag – sprich alle größeren thermischen Kraftwerke in Österreich. Wir können auf kein einziges verzichten, wenn wir die Netzstabilität sicherstellen wollen.

STANDARD: Welchen Vorteil hat es, Verträge auf mehrere Jahre abzuschließen?

Baumgartner-Gabitzer: Dass sich die Betreiber der Kraftwerke darauf verlassen können, über eine längere Zeitspanne sichere Einnahmen zu haben. Und umgekehrt können wir sicher sein, die Kraftwerke bei Bedarf abrufen zu können. Bisher mussten wir jedes Jahr neu verhandeln.

STANDARD: Wenn ein Betreiber ein Kraftwerk stilllegen möchte, muss das gemeldet werden?

Baumgartner-Gabitzer: Zwölf Monate vorher ist das der E-Control bekanntzugeben. Das ist aber auch schon alles. Ein Einspruchsrecht gibt es nicht, weder von uns noch von der Behörde.

STANDARD: Ist die Situation in Deutschland besser?

Baumgartner-Gabitzer: Eindeutig, die haben eine gesetzliche Absicherung, wir Verträge. Eine gesetzliche Absicherung stünde auch Österreich gut an. (Interview: Günther Strobl, 21.8.2017)