Am Platz, der sich hinter Maria vom Siege in Wien-Fünfhaus öffnet, hat Simon Xie Hong ein schönes neues On aufgemacht.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Eiertofu schwimmt in satt würzigem Dashi, knusprig frittierte Fischgräten sollen für Konsistenzkontraste sorgen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Dass Wien zu viele Kirchen hat, weiß man, seit die Erzdiözese den neogotischen Backsteinbau Maria vom Siege am Mariahilfer Gürtel vor ein paar Jahren an die Kollegen von der koptisch-orthodoxen Abteilung verschenkte. Dass Wien zu wenige Kirchenwirte hat, liegt hingegen daran, dass solche nur auf ordentlichen Kirchplätzen funktionieren können, von denen es in der Hauptstadt – wie überhaupt ordentliche Plätze- nur dramatisch wenige gibt.

Simon Xie Hong, aus dem chinesischen Wenzhou gebürtig, ist seit Jahren einer der wegweisenden Gastronomen der Stadt. Außerdem liebt er schöne (Kirch-)Plätze. Und musste deshalb zugreifen, als ihm der einstige Kirchenwirt von Maria vom Siege angeboten wurde. Dabei galt die Gegend bisher eher nicht als Hoffnungsgebiet.

Doch das Wirtshaus hat eine über 200 Jahre alte Linde vor der Türe und liegt (siehe Bild) auch sonst sehr charmant an einer stillen und doch gürtelnahen Ecke. Dass der Platz radikal verkehrsberuhigt ist, verwundert in einer dafür gefürchteten Stadt nicht wirklich. Wenigstens der Gastgarten darf auf den ansonsten leeren Platz und bis unter die Linde ausfransen.

Mediterran, asiatisch

In Simon Xie Hongs nunmehr fünftem Lokal spielt der Aromenkosmos der chinesischen Küchen erstmals eine untergeordnete Rolle. Stattdessen gibt es eklektische Kombinationen aus mediterran, irgendwie aber doch auch asiatisch inspirierten Gerichten. Dafür hat Xie Hong den aus Griechenland gebürtigen Koch George Tsergoulas engagiert. Das klingt gefährlicher, als es sich auf den Tellern manifestiert.

Und zwar ab dem Frühstück, bei pochierten Eiern mit Lachscreme und Mangold etwa oder Spiegeleiern mit kanadischem Bacon, Sushireis und Frühlingszwiebel. Trocken gereiftes Herz von der alpinen Milchkuh ist eine von zahllosen Vorspeisen, ideal scharf und medium rare gegrillt, sodass sich der Fleischgeschmack auf geradezu süchtig machende Art entwickeln kann. Dazu gibt es flaumigen Toast vom hausgemachten Five-Spice-Brot und eingelegte Schalotten, die der wuchtigen Kombination Säure und Frische entgegensetzen. Gedämpfte Baozi-Teigtaschen mit Oktopusfülle und einem dramatisch aromatischen Miso-Karamell-Dip machen ebenso Freude.

Noch aber gelingen diese Punktlandungen nicht so schlafwandlerisch wie an den anderen On-Adressen: Pastrami vom hausmarinierten Lachs etwa wird mit kohlig saurem Rettich und süßer Mango kombiniert – mächtige Aromen, die am Gaumen leider nicht zusammenfinden wollen. Dafür sind die al dente gegarten Ravioli mit einer Fülle aus Kraut und Feta mit knusprig gerösteten Erdnüssen, Chili, Ingwer und Zwiebel ein gelungenes Beispiel für die Vermählung von Aromen, die kaum füreinander bestimmt wirken.

Feine Briese auf der Zunge

Bei den Hauptspeisen funktioniert das schon recht gut: Eiertofu, eine unwirklich luftige Kreation, schwimmt in satt würzigem Dashi, knusprig frittierte Fischgräten sollen für Konsistenzkontraste sorgen, dazu gibt es Edamame in Olivenöl: ein sommerliches, schwebend zartes Gericht. Oder ideal flaumig gebackenes Kalbsbries, das auf feinen Scheiben geschmorter Zunge serviert wird – mit etwas mutiger abgeschmeckter Erbsencreme könnte das ein fantastischer Teller sein.

Besonderes Lob gehört – für ein On bislang unüblich – den Desserts. Schokokuchen mit fein herber Ganache etwa wird von einem fantastisch dichten Himbeer-Chili-Sorbet begleitet, sehr gut. Und auch das Parfait vom griechischen Joghurt mit karamellisierter Bienenwabe und Basilikum ist eindeutig höhere Patisserie. Fazit: Das neue On hat einen der stimmungsvollsten Gastgärten der Stadt und einen fast schon zu ambitionierten jungen Koch. (Severin Corti, RONDO, 25.8.2017)

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