Bild nicht mehr verfügbar.

Labour-Chef Jeremy Corbyn hat es in der Kampagne endlich geschafft, über Inhalte zu reden, sagte Anneliese Dodds. Die Abgeordnete ließ sich vor dem Votum mit Corbyn und ihren Kindern ablichten.

Foto: REUTERS/Darren Staples

STANDARD: Sie waren bis vor kurzem Europaabgeordnete. Jetzt sind Sie in London, wo man gerade im Begriff ist, sich von der EU zu verabschieden. Vermissen Sie Brüssel schon?

Dodds: In gewisser Weise schon. Es gibt in Brüssel ein politisches System, das eindeutig viel kollegialer ist als das, was wir in Westminster haben. In London ist alles viel traditioneller, da die Leute einander gegenübersitzen und es viel mehr Konflikt gibt. Sich daran zu gewöhnen dauert ein wenig. Und ich vermisse meine sozialdemokratischen Kollegen aus Europa. Es ist gewiss eine andere Rolle.

STANDARD: Sie selbst haben aber mit deutlich größerem Vorsprung gewonnen, als vermutet worden war. Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Dodds: Von meinem eigenen Ergebnis war ich jedenfalls überrascht. Vor allem, weil wir in Oxford lange einen anderen Labour-Abgeordneten hatten, der sehr bekannt war – was in Großbritannien sehr wichtig sein kann. Es kam dann aber viel besser als erwartet. Und es gibt viele Theorien dazu, wieso Labour insgesamt besser war als gedacht.

STANDARD: Was ist Ihre?

Dodds: Der Ansatz der Konservativen war sehr stark auf Premierministerin Theresa May fokussiert, und ihr Programm war ziemlich problematisch, vor allem was die Fürsorge für Ältere betrifft. Aber ich glaube, dass Labour auch besser abgeschnitten hat, sobald die Leute mitbekommen haben, was unsere Botschaft war. Lange Zeit gab es in der Presse vor allem Hohn für unseren Parteichef Jeremy Corbyn. Und die Kampagne hat die Leute gezwungen, sich seine Vorschläge anzuhören.

STANDARD: Hat die Wahl mit der Brexit-Abstimmung vielleicht doch mehr zu tun, als man glaubt? Waren beides Protestabstimmungen?

Dodds: Na ja – es gibt viele frühere Labour-Wähler, vor allem im Norden Englands, die diesmal nicht zu uns zurückgekommen sind. Viele Junge haben Labour vielleicht als Anti-Status-quo gesehen. Was das Referendum betrifft, würde ich jedenfalls zustimmen.

STANDARD: Ihre Versprechen soll-ten für die ärmeren Leute im Norden eigentlich anziehend wirken. Wie erklären Sie sich, dass diese Menschen stattdessen zunächst die Ukip und danach wieder nicht Labour, sondern die Konservativen gewählt haben?

Dodds: Ich glaube, Labour war lange nicht sehr gut darin, die Dinge beim Namen zu nennen. Wir sprechen viel im Jargon und zeigen nicht, was das für Einzelne bedeutet. Unsere Erhebungen zeigen: Die Leute finden unsere Vorschläge oft gut. Aber wenn sie hören, dass die Ideen von uns kommen, sind sie plötzlich dagegen.

STANDARD: Trotzdem, und auch wenn man das Wahlsystem mitdenkt: Abgesehen von Ihren Parteikollegen in Malta ist Labour die erfolgreichste sozialdemokratische Partei in Europa. Was machen die anderen falsch?

Dodds: Ich glaube, dass Labour in der Vergangenheit an Selbstzufriedenheit gelitten hat, deswegen sollten eher wir von unseren Schwesterparteien lernen. Und unser Wahlsystem bedeutet, dass wir außerhalb der Regierung die Politik nur wenig verändern können. Was konkrete Änderungen im Leben der Menschen betrifft, weiß ich also nicht, ob wir von Erfolg reden können.

STANDARD: Es ist ehrenhaft, dass Sie Erfolg über Umsetzung definieren. Die Frage war aber auf den Wähleranteil bezogen.

Dodds: Wir starten wegen unseres Wahlsystems natürlich von einer höheren Basis als andere Parteien. Und es ist ein relativer Erfolg: In Schottland haben wir etwa dazugewonnen. Aber früher haben wir dort dominiert – davon sind wir noch recht weit weg.

STANDARD: Die meisten sozialdemokratischen Parteien in Europa sind derzeit in der Krise. Was ist ihnen entgangen?

Dodds: Darüber haben wir im EU-Parlament auch oft und lange gesprochen. Ich glaube, die Leute reagieren immer noch darauf, was in der Finanzkrise passiert ist. Wir haben mit den Leuten immer noch nicht ernsthaft genug darüber geredet, was für ein Wirtschaftssystem wir in der Zukunft haben wollen. Ich glaube, das liegt immer noch im Herzen des Problems. 2008 haben viele Leute geglaubt, dass wir jetzt zeigen können, dass die Sozialdemokratie funktionieren kann. Aber das Gegenteil ist passiert. Da sind sicher Fehler in der Kommunikation passiert.

STANDARD: Geht es wirklich nur um die Kommunikation und nicht eher um das konkrete Handeln dieser Parteien?

Dodds: Da haben Sie recht. In manchen Fällen – auch in Großbritannien – haben Labour-Regierungen das Finanzsystem dereguliert. Wir müssen viel mehr tun, um unsere Wirtschaftssysteme zu demokratisieren. Vor allem in Großbritannien, wo die Ungleichheit im Vergleich besonders hoch ist. (Manuel Escher, 24.8.2017)