Die Zahl der Spitalsaufenthalte muss verringert werden: Hier liegt das größte Einsparungspotenzial im Gesundheitsbereich.

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Frage: Die lange versprochene Effizienzstudie über die Sozialversicherungen wurde am Donnerstag von Sozialiminister Alois Stöger und Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (beide SPÖ) präsentiert. Was war das Ziel der Studie?

Antwort: Das österreichische Sozialversicherungssystem steht immer wieder in der Kritik. 21 Träger sollen für rund 8,7 Millionen Einwohner Kranken-, Pensions- und Unfallversicherungen bereitstellen. Der Rechnungshof beklagte wiederholt ein Kompetenzwirrwarr und ein ineffizientes System. Im Vorjahr erteilte Sozialminister Alois Stöger der renommierten London School of Economics (LSE) den Auftrag, das österreichische System zu durchleuchten.

Ziel war eine "kritische Reflexion", um die Effizienz zu prüfen und Verbesserungspotenziale aufzuzeigen. Unter anderem sollte auch die Zusammenlegung oder Reduzierung der Sozialversicherungen untersucht werden – aber eben unter anderem, es war nicht als Ziel definiert. Der Ressortchef betonte stets, dass das bloß eine von vielen Varianten sei – also "ergebnisoffen", wie das Prinzip "Schau ma mal" in politischer Sprache heißt.

Frage: Und wie effizient ist jetzt das Gesundheitssystem?

Antwort: Elias Mossialos, der Studienautor der LSE, hat sich ein Jahr lang mit dem österreichischen Sozialversicherungssystem herumgeschlagen. Dazu hat er vier Modelle erarbeitet, mit unterschiedlichen Ansätzen zur Reduzierung der Träger. Er kommt zu einem überraschenden Schluss: Die Zahl der Versicherungsträger ist nicht relevant, eine größere Rolle spielt die Leistungsharmonisierung. Kurz gesagt: Ein Vorarlberger soll künftig nicht mehr Zuschüsse für seinen Rollstuhl bekommen als ein Wiener.

Frage: Wie schauen die vier Modelle konkret aus, wurden dabei Zusammenlegungen überlegt?

Antwort: Ja, etwa bei "Modell eins": Hier soll es einen bundesweiten Träger für die Unfall- und die Pensionsversicherung geben, eine Krankenversicherung für alle unselbstständig Beschäftigen und eine für alle selbstständig Beschäftigen.

"Modell zwei" sieht eine ähnliche Struktur vor, nur dass es bei Kranken- und Unfallversicherung noch einen eigenen Träger für öffentlich Bedienstete gibt.

Bei "Modell drei" gibt es einen bundesweiten Träger für die Pensionsversicherung und eine gemeinsame Kranken- und Unfallversicherung, die in neun Landesträger unterteilt ist.

"Modell vier" basiert auf der aktuellen Struktur mit 21 Trägern. Der Unterschied ist die Koordination zwischen den Trägern. Hier werden gemeinsame Servicezentren vorgeschlagen, damit die Abstimmung und Zusammenarbeit erhöht wird.

Frage: Welchen Schluss zieht der Sozialminister daraus?

Antwort: Stöger präferiert das vierte und letzte Modell, zumindest als ersten Schritt. Zunächst will er ein Sozialversicherungsstrukturgesetz erlassen, das die Träger zur besseren Zusammenarbeit verpflichten soll. Die Anzahl der Träger sei aber nicht in Stein gemeißelt, betont Gesundheitsministerin Rendi-Wagner. Wenn die Leistungen mit dem Durchschnitt vereinheitlicht werden, beliefen sich die Kosten auf 171 Millionen Euro. Die Mehrkosten ergeben sich, weil das für mehr Versicherte eine Verbesserung als eine Verschlechterung bedeutet. Werden die Leistungen auf einem höheren Niveau angeglichen, werden dafür 390 Millionen berechnet. Ziel ist es, die Mittel aber etwa durch die Umleitung der Patienten aus dem Spitals- in den niedergelassenen Bereich hereinzuholen.

Frage: Was kann sich ändern?

Antwort: Studienautor Mossialos rät von einer Umwälzung des Systems ab, sondern empfiehlt langsame, sanfte Änderungen. Von einer Revolution rät er ab. Die Harmonisierungen der Leistungen sind ein wichtiges Signal an die Versicherten, und es ist ja tatsächlich eine Ungerechtigkeit, die beseitigt wird. Aber der Hauptverband der Sozialversicherungsträger hat diese schon in die Wege geleitet und vor einigen Wochen einen Plan vorgestellt, welche Leistungen wann angeglichen werden sollen. Der Sozialminister hat sich durch die LSE-Studie bestätigen lassen, dass das österreichische System sehr gut funktioniert, größere Würfe darf man daher nicht erwarten.

Frage: Gibt es auch andere Studien zu dem Thema?

Antwort: Ja, und diese kommen auch zu anderen Ergebnissen. Die Wirtschaftskammer hat etwa ein Fünf-Träger-Modell mit einer Schweizer Beratungsfirma entwickelt: PVA (Pensionsversicherung), AUVA (Unfallversicherung) und BVA (Beamtenversicherung) sollen für die Beamten erhalten bleiben, die neun Gebietskrankenkassen sollen zu einer fusionieren, die SVA (Sozialversicherungsanstalt für Selbstständige) und die SVB (Selbstständige Versicherung für Bauern) sollen zusammengeführt werden.

Zu einem anderen Ergebnis kommt eine Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS), die von der Industriellenvereinigung in Auftrag gegeben wurde. Statt neun Gebietskrankenkassen soll es drei bis vier Kassen für Unselbstständige geben und eine bundesweite für Selbstständige. Die Krankenkassen sollen nicht mehr nach Bundesländern, sondern nach topografischen Regionen organisiert sein, wie es etwa im Österreichischen Strukturplan Gesundheit abgebildet ist.

Frage: Es werden doch immer von allen Gesundheitsexperten die hohen Ausgaben für Gesundheit in Österreich kritisiert. Wieso kommt dann die LSE-Studie zu dem Schluss, dass das System ohnehin effizient ist?

Antwort: Die Analyse hat ergeben, dass die Verwaltungskosten für die vielen unterschiedlichen Träger gar nicht so hoch sind wie erwartet. Natürlich gebe es auch da Einsparungspotenziale, aber der entscheidende Punkt sei eben die Angleichung der Leistungen. Gleichzeitig bestätigt die Studie, dass in Österreich die Kosten für den Spitalsbereich unverhältnismäßig groß sind, eben weil die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und niedergelassenem Bereich ausbaufähig ist.

Experte Mossialos schlägt etwa Anreize für Mediziner vor, sich in ländlichen, abgelegenen Regionen niederzulassen. Gesundheitsministerin Rendi-Wagner leitet außerdem daraus ab, dass die Primärversorgung, also allgemeinmedizinische Gruppenpraxen, die von anderen Gesundheitsberufen unterstützt werden und längere Öffnungszeiten anbieten, weiter ausgebaut werden muss. Das ist durch das im Juli beschlossene Primärversorgungsgesetz bereits auf Schiene. Gleichzeitig will die Ressortchefin die neun Krankenanstaltengesetze, die Ländersache sind, auf eines reduzieren, um damit effizienter planen zu können.

Frage: Welches Einsparungspotenzial hat aber nun die Studie insgesamt ergeben?

Antwort: Zwischen 692 Millionen und 845 Millionen Euro können laut LSE-Studie im Gesundheitssystem eingespart werden. Das hängt davon ab, welche Erfolge in den einzelnen Bereichen erzielt werden können. Wenn Spitalsaufenthalte um zehn Prozent verringert werden können, könnten sogar 1,2 Milliarden eingespart werden. Tatsächlich können davon 30 bis 40 Prozent lukriert werden, denn der Großteil müsste gleichzeitig in den Aufbau von Ambulanzen und Primärversorgung umgeleitet werden.

Bei den Verwaltungskosten sieht der Experte weniger Einsparungsmöglichkeiten und stellt Österreich ein gutes Zeugnis aus. Nur Japan verwaltet im Gesundheitssystem effizienter. Dennoch könnten hier 46 Millionen eingespart werden. Die Medikamentenkosten – der Experte empfiehlt, verstärkt auf Generika zu setzen – könnten um 65 Millionen reduziert werden, jene in Spitälern zwischen 14 und 27,7 Millionen. Bei der Betrugsbekämpfung könnten noch zwischen 80 und 132 Millionen eingespart werden. (Marie-Theres Egyed, 24.8.2017)