"Xue-Xi" (Lernen) ist das aus zwei Schriftzeichen zusammengesetzte meistgebrauchte Wort im Chinesischen. Mit dem Aufruf zum Lernen beginnen schon die mehr als 2.000 Jahre alten "Gespräche" (Lunyu) des Konfuzius. Sein Eingangssatz wurde vom Altmeister der deutschen Sinologie Richard Wilhelm so übersetzt: "Lernen und das Gelernte zur rechten Zeit anwenden, ist das nicht auch eine Freude?"

Als Lehrer der Nation versteht sich auch Parteichef Xi Jinping, Im Spätherbst 2017 will er sich auf dem besonders wichtigen 19. Parteitag für weitere fünf Jahre als Führer der Volksrepublik bestätigen lassen. Als erster Parteichef Chinas besuchte er 2013 den Geburtsort des großen Erziehers in Qufu. Xi empfahl danach seinen Landsleuten, die Gespräche des Konfuzius wieder zu lesen, um Altbewährtes dem sozialistischen System dienstbar zu machen.

Wortspiel

Das färbt bereits auf ihn ab. Das chinesische Xi in seinem Familiennamen ist das gleiche Zeichen wie im Wort Lernen. Die Propagandakünstler der Partei haben "Xue-Xi" zum Wortspiel gemacht. Es lässt sich als "Lernen von Xi" verstehen. Der doppeldeutige Begriff ziert auch Plakate im nordchinesischen Prominenten-Badeort Beidaihe. Dort verbrachten in den ersten beiden Augustwochen Chinas Politbürogrößen die politische Sommerpause an dem für sie abgeriegelten Weststrand.

Im Vordergrund der Publikumsstrand. Im Hintergrund, im Bogen der Bucht, der abgesperrte Parteistrand, wo die Parteiführung in ihren versteckten Villen in Pinienwäldern den Parteitag vorbereitete.
Foto: Erling

Entlang der Holzzäune am Strand um die kleine Bucht, in deren bewaldeten Bergen die versteckte ZK-Sommerfrische erkennbar ist, sind Tafeln über die "Weisheiten" von Xi angebracht. Noch vor Ablauf seiner Amtszeit will er China passend zum 100. Geburtstag der Partei 2021 auf die erste der beiden Stufen einer neuen Weltmacht gebracht haben. Die zweite soll es 2049 erreichen – zum 100. Gründungsjubiläum der 1949 gegründeten Volksrepublik.

Propagandatafel am Holzzaun: die Weisheiten des Generalsekretärs Xi – Theorie-Ecke.

China sei wie ein "aufgewachter Löwe", schreibt Xi. Die Welt brauche ihn nicht zu fürchten. Denn er sei ein "liebenswertes, friedliches und zivilisiertes" Raubtier. Überall sind Parolen in roter Farbe zu sehen: "Begrüßt mit Freuden den 19. Parteitag." Offiziell weiß niemand, wann die alle fünf Jahre tagende KP-Vollversammlung in Peking zusammentritt. Doch in Beidaihe wird wegen der dort urlaubenden Führer so getan, als stünde das Treffen unmittelbar bevor. Der Badeort liefert nur die Kulisse für die Klausur der Parteispitze.

Obwohl die Volksrepublik mit dem Anspruch einer Weltmacht auftritt, hat die herrschende Partei ihre Geheimniskrämerei nicht abgelegt. Transparenz ist für die mit heute 98 Millionen Mitgliedern größte KP der Welt noch immer ein Fremdwort. Sie hat ihre Rituale, wie sie ihren Parteitag vorbereitet. Am 7. August startete das Parteiorgan "Volkszeitung", fünfmal in der Woche eine tägliche Beilage über jeweils eine der 31 Provinzen, Stadtstaaten und Parteichefs zu veröffentlichen. Wenn dieses Defilee vorüber ist, werden die Organisationsabteilungen der Partei vorgestellt. Dann kann der Parteitag beginnen. "Das dauert wohl noch bis Ende Oktober oder Anfang November", vermutet ein alter KP-Veteran.

"Begrüßt den 19. Parteitag".
Foto: Erling

Dieses Jahr hält die Parteispitze über ihr großes Stühlerücken hinter den Kulissen besonders dicht. Xi lässt sich vom Parteitag seine zweite Amtszeit bis 2022 absegnen. Zuerst muss er Personalfragen klären. Bis auf Premier Li Keqiang sollen alle fünf Mitglieder der siebenköpfigen inneren Führung des Politbüroausschusses aus Altersgründen ausgetauscht werden. Selbst gut vernetzte chinesische Diplomaten spekulieren nur hinter vorgehaltener Hand, wer als Nachrücker unter Xi und Premier Li in das Zentrum der Macht einzieht. Inhaltliche Themen, etwa zur Überwindung des Reformstaus in der chinesischen Wirtschaft, treten in den Hintergrund. Vergangenes Jahr hatte Xi, der auch Chef der zentralen Leitungsgruppe zur Vertiefung der Reformen ist, verlangt, aus dem "Leerlauf" herauszukommen. Die Lage hat sich verschärft. Von politischen Reformen ist ohnehin schon lange keine Rede mehr.

Offizielle Parteibroschüren mit eingelegtem Prüfungsbogen "500 Fragen zum 19. Parteitag" täuschen eine nicht vorhandene Offenheit vor. Sie verraten als Antwort auf eine Frage, dass 2.300 Delegierte teilnehmen, 30 mehr als beim letzten Parteitag 2012. Absicht des Quiz ist, die Parteimitglieder ideologisch auf Vordermann zu bringen. Sie sollen von Parteichef Xi lernen, "an den Marxismus zu glauben, sich allem Gerede von der westlichen Verfassungsdemokratie, den sogenannten allgemeinen Werten und der Bürgergesellschaft zu widersetzen, um nicht auf falschen Weg zu kommen".

"Xi-Jinping-Ideen"

Xi hat in früheren Schriften seine Urangst thematisiert, dass China den Weg des sowjetischen Kommunismus gehen könnte, wo sich Partei und System von allein auflösten, ohne dass KP-Mitglieder Widerstand leisteten. Er verlangt Linientreue. In den Fußstapfen von Mao Tsetung drängt er die Partei, seine theoretischen Vorstellungen von einer modernen sozialistischen Weltmacht China als "Xi-Jinping-Ideen" in die Parteiverfassung aufzunehmen. Mit innerparteilichem Widerstand gegen seinen Machthunger will er fertig werden, indem er einen grotesken Personenkult um sich anfachen lässt.

Die Buchläden in Peking sind voller neuer Bücher über ihn. Im Verlag der Parteihochschule erschien das "Xuexi Jinju". Der Titel heißt "Lernt von Xi, von seinen goldenen Sätzen", eine Anspielung auf die einst "Worte des Vorsitzenden Mao" genannte rote Mao-Bibel. Im Vorwort zum Xi-Buch steht: "Jeder seiner Sätze ist Wahrheit." Einer dieser goldenen Sätze verrät, wie dogmatisch er denkt. "Die Frage, ob die Partei über dem Recht steht oder das Recht über der Partei, ist eine Pseudofrage." Sie locke nur die Partei in eine "politische Falle".

Titelumschlag des neuen Buches "Xuexi Jinju" aus dem Parteiverlag.
Foto: Erling

Eigentlich sollte Xi bei seiner Machtfülle innerparteiliche Gegner nicht fürchten müssen. Er kontrolliert nach fünf Jahren über zwölf von ihm gegründete Kommandozentren die Reformen in der Wirtschaft, die nationale Sicherheit, den geplanten Umbau des Militärs zu Kampftruppen bis zur Cyberkriminalität. Seit Herbst lässt sich Xi "Kern der Partei" nennen und beherrscht damit sein Kollektiv. Er hält sein Land mit Antikorruptions- und Säuberungskampagnen auf Trab. 220 Top-Funktionäre ab Ministerrang und ab Vizeprovinzchef fielen ihnen zum Opfer. Zugleich rüstete Xi die Volksrepublik auf – wirtschaftlich über seine Seidenstraßen-Offensive, geostrategisch über die Expansion ins Südchinesische Meer und militärisch über seine neue Doktrin vom starken China.

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Auf der internationalen Buchmesse in Peking ist Xi Jinpings Œuvre omnipräsent, ebenso in den Buchhandlungen im ganzen Land.
Foto: AP Photo/Mark Schiefelbein

Der Machtpolitiker hat 23 Parteichefs und 24 Gouverneure in 31 Provinzen und Stadtstaaten Chinas absetzen lassen, zählte die Hongkonger "South China Morning Post", und zum großen Teil mit engen, früheren Vertrauten besetzt. Auch in der Armee hat er fest Fuß gefasst und seit 2012 fast 30 neue Generäle ernannt, darunter fünf nach der Militärparade zum Armeefeiertag am 1. August.

Xi nahm diese Parade ohne Beteiligung seines Politbüroausschusses im Alleingang ab, als Zeichen seiner neuen Stärke. Die Streitkräfte salutierten ihm erstmals nicht mehr als Führer (Shouzhang), sondern als Vorsitzendem (Zhuxi). Sie nennen ihn Oberkommandant (Tongshuai). Solche Ehrentitel waren einst Mao vorbehalten. Xi, der ungeduldig seiner Nation den ihr zustehenden Platz einer Weltmacht verschaffen will, braucht die Augenhöhe mit Mao ebenso wie den Personenkult, um unumstritten schalten und walten zu können. Der kommende Parteitag soll ihm dazu verhelfen. (Johnny Erling aus Beidaihe, 25.8.2017)