Das Mattersburger Viadukt tut so, als wäre die Linie zwischen Wiener Neustadt und Sopron fast eine Gebirgsbahn.

Foto: wei

Vermessungszeichnung des Bauingenieurs Anton Höfer.

Zeichnung aus: "150 Jahre Eisenbahn im Burgenland"

Gute Nachbarn: Das Pappelstadion mit seiner gedeckten Haupttribüne und die Eisenbahnbrücke.

Foto: wei

Mattersburg – Dieser Tage feierte das Mattersburger Eisenbahnviadukt – weithin sichtbares Wappentier des kleinen burgenländischen Städtchens – seinen 170. Geburtstag. In aller Stille, unbehelligt von allfälliger Wahlkämpferei. Nur Michael Ulrich, der türkise Spitzenkandidat der Stadt bei den Kommunalwahlen am 1. Oktober, wies in einer schlichten Aussendung darauf hin.

Dabei hätte dieses spektakuläre Bauwerk, das in zwanzig Metern Höhe über 250 Meter mit 20 Bogen das ausgerechnet hier so tief eingeschnittene Tal der Wulka quert, einiges zu erzählen. Nicht nur, aber für uns Heutige besonders frappant, von der Zügigkeit des damaligen Bauens. Im November 1844 erhielt die vom Wiener Bankhaus Sina, Konzessionär aller nach Süden und Südosten führenden Eisenbahnlinien, hauptfinanzierte Gesellschaft die Bewilligung zum Bau der Linie von Wiener Neustadt nach Ödenburg.

Kurze Bauzeit

Im Februar 1845 wurde die AG gegründet, mit an Bord waren die Magnaten Esterházy und István Széchenyi, der große Modernisierer Ungarns. Rund 4000 Arbeiter begannen das Werk. Und schon am 20. August 1847 – schneller, als heutzutag' das Wort Umweltverträglichkeitsprüfungsbeeinspruchung ausgesprochen wird – überquerte der erste, von Wien kommende Zug das Viadukt.

Warum diese Eisenbahnstrecke, die sich ohne großen Aufwand weit unspektakulärer und billiger hätte ausführen lassen, sich hier wie eine Gebirgsbahn inszeniert, ist nicht endgültig geklärt. Die ursprünglich ins Auge gefasste Trasse wäre flach verlaufen. Viel spricht dafür, dass hier schon für den Fall des ein Jahr später dann tatsächlich eintretenden Falles geübt worden ist.

1848 – nach der Revolution und noch während des ungarischen Unabhängigkeitskrieges gegen Habsburg – wurde die Eisenbahn über den Semmering in Angriff genommen. Mit weit waghalsigeren Bauwerken, in die aber das Mattersburger Know-how nutzbringend einfloss. Mit der Semmeringbahn wurde dann auch die Frage beantwortet, welche Linie die Flügelbahn und welche die Hauptstrecke sein solle. Die Lebensader nach Triest – die ursprünglich übers günstigere Terrain Westungarns hätte führen können – wollte man in Wien nun keinesfalls den Ungarn anvertrauen.

Erträgliche Pendeldistanz

Eine auch nicht unlogische Erklärung für die Gebirgspose der Flachbahn ist das Motto, dem die Sina'sche Südbahngesellschaft schon 1841 beim sogenannten Busserltunnel – unnötig eigentlich wie das Mattersburger Viadukt – in der Ebene bei Gumpoldskirchen gefolgt ist. "Recta sequi", schrieben sie aufs Tunnelportal, "folge der Geraden."

Heute garantiert die Bahn immerhin die Zugehörigkeit der kleinen Stadt Mattersburg zu Groß-Wien, dessen Zentrum mit einer knappen Zugstunde in erträglicher Pendeldistanz liegt. Das Viadukt spielt eine schöne Nebenrolle bei Fußballübertragungen. Das Pappelstadion, Spielstätte des SV Mattersburg, ist ja der Nachbar der alten Brücke. Wenn die Perspektive passt, scheint es, als führe der aufmunternd hupende Zug direkt übers Tribünendach.

Groß-Wien

Verschwunden ist allerdings längst der zur Eröffnungsfeier errichtete Triumphbogen, der die ersten Fahrgäste auf dem Viadukt begrüßt hat mit den schönen Worten: "Lauf willkommen, hehrer Dampfer / In das Ungarland herein / Unvergesslich, wie die Werke / Sollen ihre Schöpfer sein."

Apropos: Bauleiter der nach 1848 eine bloße Nebenbahn spielenden Soproner Linie war ein gewisser Matthias Schönerer, der sich schon bei der Pferdebahn von Linz nach Budweis verdient gemacht hat. Sein Sohn aber geriet in weiterer Folge auf die schiefe Bahn. Georg – durch den begabten Vater Ritter von Schönerer – wurde deutschnationaler Politiker, Abgeordneter im Wiener Reichstag und nicht nur dort Künder des Rassenantisemitismus. Weichensteller quasi für die Jahrhundertkatastrophe. (Wolfgang Weisgram, 28. 8. 2017)