Wanderer in den Alpbacher Bergen.

Foto: Europäisches Forum Alpbach, Bogdan Baraghin

Glaubt man Ernst Fehrs Eröffnungsvortrag der Alpbacher Wirtschaftsgespräche, so sind wir Menschen alle unkooperative Wesen, es sind nur die Sanktionen – also ein bisschen Peitsche –, die uns Menschen freundlich zueinander werden lassen.

Freundlichkeit – fern vom Fake der Modellwelten

Ganz anders in den Kitzbüheler Alpen: Vielleicht ist es die frische Ziegenmilch oder der Duft der Heublumen, was die Kitzbüheler Alpenbewohner aus ökonomischer Sicht so irrational handeln lässt, dass sie wirklich freundlich zu uns waren. Beate vom Panoramahotel war es sichtlich peinlich, uns überhaupt das Essen, den Kuchen, die Kaffees und die Schnäpse nach dem gemütlichen gemeinsamen Abend in Rechnung zu stellen, und Joseph und Maria von der Breitegg-Alm haben überhaupt nicht nach Geld fragen wollen, nachdem sie uns mit selbstgesammelten Eierschwammerln, einem köstlichen Blaubeerkuchen, einem urgemütlichen Hüttenabend und einem deftigen Käse- und Speckfrühstück verköstigt und dann noch 20 Kilometer mit dem Jeep durch die Berge gefahren hatten.

Die Freundlichkeit, die uns hier entgegengebracht wurde, ist so fern vom Fake der ökonomischen Modellwelten, dass an dieser Stelle nur noch die Mär von der Gen-Kuh mithalten kann.

Die Mär von der Gen-Kuh

Im Workshop des Innenministeriums wurde mit großem Stolz darauf verwiesen, dass es die Gen-Kuh in Österreich nicht gebe. Nicht so in den Kitzbüheler Alpen, wo die Gen-Kuh aufgrund ihrer Dünnhäutigkeit den ganzen Tag auf der Alm im Stall bleiben muss und nur nachts rausdarf, weil Fliegen und Sonne sie sonst zerlegen würden. Vielleicht waren es aber auch nur Turbo-Kühe, die wir gesehen haben und die es dann in Österreich geben soll? Oder könnte es sein, dass Kühe nur in die Statistik einfließen, wenn man sie tagsüber auf der Weide mit Satelliten zählen kann? Man weiß es nicht, jedenfalls sind die Bauern in den Kitzbüheler Alpen dem Fake von der Turbo-Kuh auf die Schliche gekommen, ebenso wie dem Turbo-Dünger, der fürs nächste Jahr die Weide versaut. Hier wendet man sich langsam wieder der altbewährten Kuh zu und von der Politik ab, die ihnen den Fake eingebrockt hat.

Diese Schlauheit wird ihnen jedoch laut Alex Pentland nichts nutzen, der im zweiten Alpbacher Eröffnungsvortrag nachweist, dass Menschen, die sich nicht weit vom Fleck wegbewegen, ökonomisch keinen Wert haben. Je weniger man mobil ist, desto geringer der Beitrag zum Bruttosozialprodukt. Es wird wohl erst die Happiness-Statistik sein, die diese glücklichen Bauern und ihre Kühe wieder in die Weihen der statistischen Kenntlichkeit heben wird. Denn glücklich sind diese Menschen in den Kitzbüheler Alpen tatsächlich, nicht nur wegen der Aussicht, sondern weil sie sich diese nun nicht mehr erlaufen müssen.

Nichtmobile Hüttenwirte

Der traurige Fake, der uns ebenso begegnet ist, sind die abstrusesten Auskünfte von Hüttenwirten, die allesamt den 100-Meter-Radius ihrer Hütte nicht mehr verlassen und uns kreuz und quer über Wege geschickt haben, die es entweder nicht gab oder die unnötig waren. Alle in voller Überzeugung, dass sie richtig lägen, wo es tatsächlich ein Fake war. Man muss allerdings zugeben, dass dieser 100-Meter-Radius nur bei solchen Wirten der Fall ist, die ihre Häuser mit Bergbahnen befahren. Hier scheint die Technik die Wanderfreude ein für alle Mal begraben zu haben und die Gäste ihre Wirte angesteckt zu haben.

Fake-Wandertourismus

Die Theorie vom neuen Wandertourismus mit den jährlich ansteigenden sportlichen Alpenüberquerern stellte sich ebenso als Fake heraus. Genau genommen werden hier offensichtlich die 270-Euro-Pauschalreisenden (all-inclusive pro Woche) gezählt, die in den Dörfern mit Bergbahnen ausgekippt und dann auf die Berge raufgetragen werden. Dort gehen sie dann 100 Meter bis zum ersten Erlebnisspielplatz, um sich anschließend bei Schnapserl und Alpenmusik zu ersaufen, von Wandern keine Spur.

Nur im Herbst müssen alle Bergbauern noch mal richtig ran: Das ist, wenn die Bergkühe (sogar untertags!) zum traditionellen Almabtrieb geschmückt und viermal (statt einmal) vom Berg runtergetrieben werden, um alle Touristenkohorten aus dem Norden mit ihren klingenden Glöckchen zu beglücken. (Sarah Spiekermann, 30.8.2017)