Bunte Vielfalt statt flüssiger Massenware: Junge Seifensieder wagen den Sprung in die Selbstständigkeit.

HautSinn

Sonja Baldauf eröffnete vor wenigen Wochen in der Wiener Herrengasse, die sich als Handwerkermeile etablieren will.

Wiener Seife

Roya Hematyar: "Zu romantisch sollte man nicht sein. Aber wenn ich es nicht jetzt versuche, wann dann?

Foto: HautSinn

Wien – Eigentlich wollte sie Kräuterhexe werden. "Ich hatte die romantische Vorstellung eines kleinen Gartens in der Steiermark, in dem ich Lavendel und Rosenblüten anbaue und in meinem Häuschen zu Naturkosmetik verarbeite", sagt Roya Hematyar. Statt Hexe im Grünen wurde sie Krankenschwester in Wien. An der Leidenschaft für Kräuter und Öle, für das Rühren, Formen und Tüfteln änderte sich – bestärkt von Freunden und Familie – nichts. Ihr Traum: Sich mit dem Sieden feiner Seifen Schritt für Schritt ein zweites berufliches Standbein aufzubauen.

Hematyar goss ihn in gewerbliche Strukturen und eignete sich in Kursen Kenntnisse über Auflagen und Richtlinien an. Sie investierte in eine Betriebsstätte am Rande Wiens, schuf die Marke Haut Sinn, knüpfte Kontakte zu kleinen Fachhändlern. Jede freie Minute wiegt sie nun Bio-Rohstoffe wie Tussah Seide, Öle aus Avocado, Hanf und Babassu ein, rührt heiße Lauge mit Milch oder Wasser an, schmilzt feste Öle ein, mixt Gewürze, formt, schneidet, lagert und lässt reifen.

Glück in der Vielfalt

"Es macht mich glücklich", sagt sie, "und ich bin überzeugt davon, dass dieser nachhaltige Weg der Produktion, auch der Verzicht auf Plastik, der richtige ist." Ob es wirtschaftlich aufgeht, weiß sie nicht. Ein Jahr gibt sie sich Zeit, dann zieht sie Bilanz. Ihre Ersparnisse stecken in Haut Sinn, die Stunden an Arbeit, die sie dafür aufwendet, hat sie aufgehört zu zählen. Dass sie den Aufwand unterschätzt hat, gibt Hematyar offen zu.

Tausende Euro kostete die Ausbildung. Gewerbeanmeldung und Betriebsanlagengenehmigung verschlingen ebenso Geld wie die Zertifizierung. Jedes einzelne Produkt gehört dokumentiert, Sicherheitsdossiers sind oft halbe Ordner dick, von normaler Buchhaltung noch nicht zu reden. Hochwertige biologische Rohstoffe in kleiner Menge sind teuer, im Vertrieb schneidet der Handel kräftig mit.

Die laufenden Kosten seien höher als erwartet, das bürokratische Drumherum lasse für die eigentliche kreative Arbeit wenig Raum, sinniert die junge Seifensiederin. "Zu romantisch sollte man nicht veranlagt sein." Wie es auch riskant sei, die unliebsame Bürokratie zu verdrängen. Im September startet sie einen kleinen Webshop, stationär ist sie bei Wiener Händlern wie dem Fachl, Sonnengrün und dem Greißler in der Albertgasse vertreten. "Wenn ich es nicht jetzt versuche, wann dann?"

Verfrühter Abgesang

Bald schon acht Jahre ist es her, dass die Stadlauer Seifensiederei schloss. Der Betrieb war der Letzte seiner Art, der im größeren Stil Seifen und Waschmittel nach geheimen Rezepturen fertigte – die sich freilich nicht so ganz in das enge Korsett der wachsenden EU-Auflagen pressen lassen wollten.

Der Abgesang auf ein traditionelles Gewerbe ertönte. Synthetische Flüssigseife schien dem guten alten Seifenstück fast gänzlich das Wasser abzugraben. Doch es kam anders; Quer durch Österreich versucht eine wachsende Zahl kleiner Kosmetikhersteller ihr Glück. Allein in Wien sind es an die 150. Vor allem Seifensieder üben sich im Schwimmen gegen den Strom der flüssigen Massenware. Viele gehen dabei finanziell unter. Sonja Baldauf behielt jedoch Oberwasser.

Sie wollte einst Seifen der Stadlauer in der Schweiz vertreiben – der Tod des Firmenchefs ließ dies nicht zu. Mithilfe eines langjährigen Mitarbeiters setzte sie die Tradition vieler der Rezepturen fort, ließ sie zertifizieren, baute "tröpfchenweise ohne viel Geld für Marketing" einen treuen Kundenstock auf und erreichte den Schutz der Marke "Wiener Seife". "Ein halbes Buch habe ich dafür geschrieben", erinnert sich Baldauf, "und was ich an Proben verteilt habe." Vieles habe sich erst Jahre später bezahlt gemacht.

Wildwuchs

Heute zählt sie zehn Mitarbeiter. Neben dem Geschäft im dritten Bezirk eröffnete sie jüngst einen neuen Shop in der Wiener Herrengasse, die sich als Handwerkermeile etablieren will. "Er muss sich auf jeden Fall selbst tragen." Handgefertigt sind ihre Seifen, Handel im großen Stil will sie niemals betreiben. "Denn ein Drittel mehr Umsatz würde auch ein Drittel mehr Personal bedeuten."

Baldauf beobachtet freilich seit Jahren einen Wildwuchs in der Branche in Form unzertifizierter Kosmetik. Eine schöne Seife mit nettem Logo sei ja schnell fabriziert – wesentlich aber sei, dass sie auch alle Auflagen erfülle. Allein die Handhabung ätherischer Öle etwa ist heikel. "Das Gewerbe ist schon jetzt sehr schwer kontrollierbar. Wie ist es erst, wenn es ein freies wird?"

Bisher erforderte gewerbliches Seifensieden einen Befähigungsnachweis. Ab Oktober ist damit in Österreich Schluss. Neueinsteiger werden damit zwar von einer finanziellen Last befreit. Die Zahl an Herstellern, die EU-Sicherheitsvorschriften ignorieren, wird wohl weiter steigen, befürchtet Veit Nitsche.

Dass die Kosten dafür vor allem kleine Betriebe erdrücken, daran lässt jedoch auch ihr Wiener Landesinnungsmeister keinen Zweifel. Er plädiert daher bei Seifen für Sammelsicherheitsbewertungen. "Es wäre eine finanzielle Erleichterung, ohne dabei die Sicherheit zu unterlaufen."

Arbeit für Steuer und Auflagen

"Viele kleine Seifensieder arbeiten vor allem für Steuer, Auflagen, Notifizierungen – und hören bald desillusioniert wieder auf", zumal ein Monat im Jahr für Büroarbeit draufgehe, sagt Barbara Freyberger, die sich als Pionierin seit 18 Jahren dem Gewerbe widmet und Neueinsteiger ausbildet. Fast alle halben Jahre käme eine Novelle und es heiße wieder einmal Umetikettieren. Von dem Handwerk zu leben, sei schwierig. "Es sei denn, man verlangt für seine Seifen das Doppelte als geplant oder verzichtet auf hochwertige Rohstoffe."

Freyberger produzierte in Sollenau einst zigtausende Seifen, versuchte damit sogar in Russland Fuß zu fassen. Mittlerweile konzentriert sie sich lieber auf kleine Mengen. Partner ist die Therme Blumau. Ansonsten verkauft sie ihre Naturkosmetik in erster Linie online.

Wer gute, natürliche Rohstoffe einsetzt, dem sollte seine Arbeit eigentlich erleichtert werden, resümiert sie. Stattdessen werde man durch zwingende kostspielige Zertifizierungen bestraft.

Kosmetik statt Käse

"Rechtliche Rahmenbedingungen zu erfüllen ist schwieriger, als gute Cremen zu rühren. Es geht damit halt Vielfalt verloren", bedauert auch Martin Sanoll, der in Tirol seit 36 Jahren mit seiner gesamten Familie und sechs Mitarbeitern Seifen siedet, unter anderem für die Handelskette Grüne Erde. Mit 50 Ziegen und ihrer Milch hat er einst begonnen. Statt Käse erzeugt er heute biologische Kosmetik – mit Hilfe eines Vertriebspartners aus Oberösterreich unter eigener Marke und in Lohnarbeit.

In die Abhängigkeit von Maschinen, für deren stete Auslastung zu sorgen ist, hat sich Sanoll, wie er sagt, in alle den Jahren nie begeben. "Ich will keine Förderbänder, und große Stückzahlen machen mir einfach keine Freud." (Verena Kainrath, 31.8.2017)