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Unbestritten ist, dass die Finanzkrise am US-Immobilienmarkt den Ausgang nahm. Banken hatten auf Basis der Hypotheken Wertpapiere gebastelt und verkauft.

Foto: ap/Mel Evans

Wien – Jener Sturm, der Banken, ganze Wirtschaftszweige, ja beinahe die Eurozone weggefegt hätte, begann sich exakt vor zehn Jahren zusammenzubrauen. Im Sommer 2007 wurde erstmals klar, dass im globalen Finanzsystem etwas nicht stimmt.

Seit der Jahrtausendwende hatten Banken in den USA neue Kredite an Häuslbauer im großen Stil vergeben. Finanzinstitute an der Wall Street haben auf Basis dieser Kredite komplexe Finanzprodukte entwickelt und sie an Investoren weltweit verkauft. Dann stellte sich heraus, dass viele Häuslbauer sich ihre Darlehen gar nicht leisten konnten, womit die erhofften Zahlungen an die Investoren ausblieben. Die Wertpapiere auf Basis der Hypotheken wurden über Nacht wertlos. Der Kollaps in der Bankenwelt begann.

Geschichte neu schreiben

Eine neue Studie des National Bureau of Economic Research, eines Forschungsinstituts mit Sitz in Cambridge, Massachusetts, kommt zum Ergebnis, dass die Geschichte der Weltwirtschaftskrise neu geschrieben werden muss. Zumindest, was ihren Ausgangspunkt betrifft. Bisher war es eine Art Konsens, dass viele der Immobiliendarlehen in den USA in der Boomphase an Schuldner mit zweifelhafter Bonität vergeben wurden. Die überforderten Familien, oft aus armen Verhältnissen, konnten sich ihre Eigenheime auf Dauer demnach nicht leisten. Die Ökonomen Stefania Albanesi, Giacomo De Giorgi und Jaromir Nosal, die auf Universitäten in Pittsbourgh, Boston und Genf forschen, kommen zu einem ganz anderen Ergebnis. Demnach waren viel mehr gut situierte Kreditnehmer von Florida bis Kalifornien, die Häuser oft als spekulative Anlageobjekte nutzten, Auslöser für die Krise.

Die drei Ökonomen stützen ihre Analyse auf die Auswertung von Daten 2,5 Millionen Kreditnehmern. Aus den Informationen ließen sich vier Kategorien von Häuslbauern herausdestillieren: jene mit hoher, guter, mittlerer und schlechter Bonität.

Rasante Zunahme von Schuldnern

Bis Mitte 2006 war die Zahl der Haushalte, die sich ihre Darlehen nicht mehr leisten konnten, gering. Doch dann steigen die Problemfälle an. Rasant ist diese Zunahme unter Schuldnern mit guter und mittlerer Bonität. Unter Personen mit schlechter Bonität gibt es dagegen zunächst bis 2009, als die Wirtschaft schon in der Rezession ist, nur eine sehr moderate Zunahme.

Diese Entwicklung spiegelt sich in einer Zahl wieder: Im Jahr 2005 betreffen Zwangsräumungen auf Antrag einer Bank zu 70 Prozent Schuldner mit schlechter Bonität. Doch weil in den darauffolgenden drei Jahren die besser situierten Häuslbauer Probleme bekommen, ändert sich die Zusammensetzung. Anfang 2009 betreffen nur noch 30 Prozent aller Räumungen Schuldner mit dem schwächsten Kreditrating.

In dem Forschungspapier ist aber eine weitere Entwicklung bemerkenswert. Analysiert wurde die Rolle von Immobilienspekulanten. Als solche werden von den Autoren des Papers Personen definiert, die zwei oder mehr Immobilien im untersuchten Zeitraum auf Kredit erworben hatten. Die Häuserpreise sind in den USA zwischen 2000 und 2007 stark gestiegen. Eine Immobilie war eine gute Wertanlage für viele Familien und Privatpersonen.

Spekulationsobjekt

Viele Amerikaner sahen das ähnlich. Der Anteil der Immobilienspekulanten an den Kreditnehmern ist bis 2007 stark gestiegen. Genau hier wurden die Probleme virulent. So waren es vor allem Personen mit zwei oder mehr offenen Krediten, die zwischen Anfang 2006 und Anfang 2008 aufgehört haben ihre Darlehen abzubezahlen. Die Zahl der Zwangsräumungen hat sich vervierfacht, unter Spekulanten in der höchsten Bonitätsstufe sogar verzehnfacht. Bei Häuslbauern, die nur über einen Kredit verfügten, fand "nur" eine Verdoppelung statt.

Warum Investoren ihre Banken öfter nicht mehr ausbezahlten, darüber können die Ökonomen nur spekulieren. Eine Theorie lautet wie folgt: In vielen US-Bundesstaaten haften Hypotheken nur am Haus, nicht aber am Schuldner. Wer wegzieht und seine Immobilie der Bank übergibt, ist schuldenfrei. Dieses Vorgehen macht aus Sicht eines Häuslbauers Sinn, wenn der Wert des Hauses geringer ist, als die Höhe der Bankverbindlichkeiten. Als die Immobilienpreise ab 2007 in vielen Regionen fielen, dürften viele Spekulanten ihrem Haus den Rücken gekehrt haben. Conclusio der Studienautoren: Finanzaufseher und Notenbanken sollten die neuen Erkenntnisse analysieren und bei der Überwachung des Immobilienmarktes berücksichtigen. (András Szigetvari, 1.9.2017)