Seit Jahrzehnten kämpfen Interessensvertretungen behinderter Personen um soziale Rechte, Anerkennung und gleichberechtigten Zugang zur Gesellschaft. Ein wichtiger Teil dabei ist die politische Selbstvertretung, auch in den Parteien. Bei den Grünen ist eine längere Tradition der Beteiligung von Personen mit Behinderungen im Parlament mit den NR-Abgeordneten Manfred Srb, Theresia Haidlmayr und Helene Jarmer zu beobachten. In der FPÖ hat Norbert Hofer diesen Bereich übernommen und in der ÖVP Franz-Joseph Huainigg. Die ÖVP beendete die Tätigkeit von Franz-Joseph Huainigg, dem zum Beispiel das System der Assistenz am Arbeitsplatz zu verdanken ist, wohl nicht wirklich freiwillig. Huainigg verkündete: "Ich bin kein Sesselkleber". Die SPÖ war bis jetzt nicht in der Lage, einer Person mit Behinderungen als Behindertensprecher auch nur eine Chance zu geben. Für die Neos und andere Kleinparteien ist Behinderung außerhalb ihres Politik- und Blickfeldes.

Wo sind Menschen mit Behinderung in der Wahl?

Im aktuellen Wahlkampf haben Personen mit Behinderungen unerwartet eine bestimmte Rolle in der Dynamik der Erstellung der Kandidatenlisten bekommen. Helene Jarmer von den Grünen, eine engagierte Kämpferin für die Rechte von gehörlosen Personen und für die praktische Anerkennung der Gebärdensprache, ist bei den Grünen auf einem kaum wählbaren Platz gereiht. Norbert Hofer bleibt bei der FPÖ an vorderer Stelle. Bei den Grünen ist überraschend auf der Salzburger Landesliste eine behinderte Frau, Christine Steger, Mitarbeiterin im Büro des Landesrates für Soziales, an die erste Stelle gewählt worden. Und was ist mit der SPÖ? Da ist wieder kein Mandat in Sicht, zwei behinderte Personen (Silke Haider und Florian Wibmer) kandidieren auf einem unwählbaren Platz. Im Konzept des Arbeitens für Menschen mit Behinderungen und der entsprechenden Sozialpolitik ist das Prinzip Selbstvertretung weiterhin nicht im Blickfeld.

Norbert Hofer ist seit einem Paragleiter-Unfall auf einen Gehstock angewiesen.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER
Christine Steger, Salzburger Spitzenkandidatin.
Foto: Stockinger

Überraschend setzte Sebastian Kurz mit Hilfe seines neuen Durchgriffsrechtes zwei behinderte Personen an erste Stellen. In Tirol führt die bekannte Sportlerin Kira Grünberg die Landesliste an. Sie kann von hohem Bekanntheitsgrad in der österreichischen Bevölkerung ausgehen, ihr Sportunfall wurde von den Medien ausgiebig über den Topos "Tragik und Heldenmut" verwertet (siehe dazu die Studie "Mediale Darstellung von Menschen mit Behinderung"). Grünberg soll wohl im Parlament Behindertensprecherin werden und Franz-Joseph Huainigg ersetzen. Da sie keine politische Erfahrung hat, kann das von Seiten der ÖVP aktuell nur behindertenpolitischen Kompetenzverlust und einen bestimmten Kurswechsel bedeuten. Franz-Joseph Huainigg war einer der wenigen Vertreter in der ÖVP, der sich klar für schulische Inklusion und gegen Charity-Politik wie "Licht ins Dunkel" ausgesprochen hat. Die zweite behinderte Person, eine frühere Bürgermeisterin und Gastronomie-Vertreterin in der Steiermark – Barbara Krenn – ist nach einer Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen, behindertenpolitisch aber völlig unbekannt.

Kurz präsentierte Grünberg als Spitze der Tiroler Landesliste.
Foto: Apa/HERBERT PFARRHOFER

Stufen, Stufen, Stufen

Und wie steht es mit dem Zugang von Personen mit Behinderungen zum Wahlkampf? Auch hier ist die von Kurz und der ÖVP präsentierte Symbolik eindeutig: Stufen, Stufen, Stufen führen zu den flächendeckend eingerichteten Wahlkampfbüros. Das widerspricht dem Bundes- Behindertengleichstellungsgesetz und kann durchaus als Diskriminierung verstanden werden. In einem offenen Brief an das Team Kurz/ÖVP verweist die Interessensvertretung von Menschen mit Behinderungen "Selbstbestimmt Leben Österreich" darauf hin.                 

Wahlkampf-Stützpunkt in Hall in Tirol ist nicht barrierefrei, wie in vielen anderen Städten auch.
Foto: Volker Schönwiese

Die Diskriminierung im Sinne des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes ist von Kurz/ÖVP entweder nicht bedacht oder einfach in Kauf genommen worden. Beides ist für den Zustand Österreichischer Akzeptanz von Menschenrechten symptomatisch.

Das Thema Behinderung ist jedenfalls im Wahlkampf angekommen, ob es wirklich ernst genommen wird, oder – bescheidener – Elemente ernsterer Auseinandersetzung damit verbunden sind, wird sich zeigen. Medial inszenierte Bekanntheit kann auch für eine Politik der Gefühle und Maximierung von Wählerstimmen instrumentalisiert werden. Typisch dafür wäre die Ablenkung von den entscheidenden Menschenrechts- und Verteilungsfragen. (Volker Schönwiese, 5.9.2017)

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