Kinder mögen häufig keinen Spinat oder Brokkoli. Das hat evolutionsbiologische Gründe, sagt Ernährungswissenschafter Uwe Knop.

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"Eltern haben dafür zu sorgen, dass das Kind eine Vielfalt an unterschiedlichen Lebensmitteln und Speisen probieren kann. Dem Kind sollte vermittelt werden, dass Essen etwas Schönes ist", so der Experte.

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Uwe Knop: "Kind, iss was ... dir schmeckt!".
Plassen-Verlag 2017,
164 Seiten, 13,40 Euro

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STANDARD: Ihr aktuelles Buch heißt "Kind, iss was … dir schmeckt!". Das klingt sehr vage. Was braucht der kindliche Körper konkret, um wachsen und sich gesund entwickeln zu können?

Knop: Das ist individuell verschieden und weiß nur jedes Kind selbst. Manche mögen mehr Fleisch und Fisch, andere eher Pasta, Brot und Kartoffeln. Die Aufgabe der Eltern ist es herauszufinden, was der Nachwuchs gerne isst und was nicht. Sie müssen ein Gefühl dafür entwickeln, welche Nahrungsmittel ihrem Kind gut tun.

STANDARD: Eines haben die meisten Kinder gemein: ihre Vorliebe für Pizza, Pasta und Schnitzel. Warum ist das so?

Knop: Kinder essen das, was ihr Körper fordert. Er ist noch im Wachstum, deshalb lautet das primäre Ziel: Energie. Das heißt: Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate. Deshalb finden sich unter den Top-Ten-Speisen immer jene, die besonders energiereich sind, und nicht Spinat, Brokkoli oder Pilze.

STANDARD: Wieso schmecken Spinat und Brokkoli vielen Kindern nicht?

Knop: Der kindliche Stoffwechsel ist noch nicht völlig ausgereift. Kinder lehnen bestimmte Lebensmittel ab, wenn ihnen ihr Körper sagt: "Das will ich nicht, das vertrage ich nicht." Das Körpersignal lautet dann: Es schmeckt nicht. Spinat enthält beispielsweise Oxalsäure, die den Zahnschmelz angreift und die Bildung von Nierensteinen fördern oder die Blutgerinnung stören kann.

STANDARD: Manche Ernährungsberater empfehlen Eltern, dass sie beispielsweise Brokkoli pürieren und dann unauffällig unters Essen mischen sollen. Ist das eine empfehlenswerte Taktik?

Knop: Da muss man sich ernsthaft fragen, ob bei diesen Leuten im Kopf noch alles in Ordnung ist. Solche Tricks dienen nur dazu, um das pseudowissenschaftliche Ernährungsgewissen ruhigzustellen. Eltern haben dafür zu sorgen, dass das Kind eine Vielfalt an unterschiedlichen Lebensmitteln und Speisen probieren kann. Sie sind dafür verantwortlich, die kindlichen Hunger-, Sättigungs- und Lustgefühle beim Essen zu fördern. Dem Kind sollte vermittelt werden, dass Essen etwas Schönes ist. Die Eltern entscheiden über das Angebot. Was das Kind isst, entscheidet es aber letztlich selbst.

STANDARD: Würde sich ein Kind von selbst beispielsweise für vegane Ernährung entscheiden?

Knop: Veganismus ist eine ideologische Ernährungsweise der Eltern, die nicht vom Kind selbst kommt. Das sollte man tunlichst sein lassen. Wird das nicht richtig gemacht, besteht ein hohes Risiko für die Gesundheit des Kindes in Form von Wachstums- und Entwicklungsstörungen. Das Risiko für bleibende Schäden ist dann relativ hoch, der Nutzen gleich null. Eine deutschen Studie zeigte etwa, dass vegan ernährte Kinder kleiner und dünner sind als Kinder, die auch tierische Lebensmittel essen.

STANDARD: Im Alter zwischen zwei und vier Jahren gibt es die Phase der Food-Neophobie. Kinder begrenzen ihren Speiseplan dabei häufig auf wenige Speisen. Was raten sie Eltern in dieser Zeit?

Knop: Dieses Verhalten lässt sich evolutionsbiologisch erklären: Der Körper bevorzugt Nahrung, die er schon gut kennt. Es wird ihm signalisiert: "Das tut mir gut, darin sind keine Stoffe enthalten, die mich belasten." Mein Rat: entspannt bleiben. Es gibt Phasen, in denen Kinder wieder experimentierfreudig sind. Die Eltern sollten hier sehr aufmerksam sein und in dieser Zeit neue Lebensmittel zum Probieren anbieten. In der "Picky Eater-"Phase bringt das überhaupt nichts.

STANDARD: Laut Ernährungsberichten nimmt der Anteil von übergewichtigen und adipösen Kindern zu. In Österreich und Deutschland ist etwa ein Viertel der Kinder davon betroffen. Steuern wir auf eine Gesundheitskrise zu?

Knop: Das große Problem ist, dass die Statistiken adipöse und übergewichtige Menschen in einen Topf schmeißen. Für den seriösen Vergleich müssten nur die Gruppen, die jeweils am Ende des Spektrums liegen, herangezogen werden. In diesem Fall wären das die untergewichtigen und adipösen Kinder. Etwa 70 bis 80 Prozent sind, je nach Altersklasse, im Bereich des Normalgewichts. Das heißt, es gibt überhaupt keinen Anlass paranoid zu werden, das Gewicht der Kinder ist quasi normalverteilt.

STANDARD: Gibt es Bevölkerungsgruppen, die besonders stark von Adipositas betroffen sind?

Knop: Adipositas konzentriert sich in Deutschland vor allem auf sozial schwache Schichten mit Migrationshintergrund. Wer etwas ändern will, muss gezielt diese Gruppe ansprechen. Doch kein Politiker traut sich zu sagen: "Wir müssen uns jetzt um die armen dicken Ausländerkinder kümmern, damit sie dünner werden." Das hätte einen gewaltigen Shitstorm zur Folge. Stattdessen macht man für die breite Masse diffuse Kampagnen, mit denen die relevante Zielgruppe aber niemals erreicht wird.

STANDARD: Was sind die Gründe für Adipositas bei Kindern?

Knop: Dazu gibt es kaum evidenzbasiertes Wissen. Der einzige Faktor, der konsistent mit Adipositas korreliert, ist das Gewicht der Mutter. Das heißt, je schwerer die Mutter ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind dick wird.

STANDARD: Welchen Einfluss haben zuckerhaltige Limonaden oder Fastfood?

Knop: Dazu gibt es nur Hypothesen. Die Ernährungswissenschaft ist wie das Lesen in einer Glaskugel. Bislang konnte in keiner Studie eine Kausalität zwischen Adipositas und dem Konsum von Fastfood oder Limonaden nachgewiesen werden – selbst die Korrelationen ergeben kein einheitliches Bild.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel geben?

Knop: So haben etwa Jugendliche, die am meisten Fastfood, Süßigkeiten und Schokolade verzehren, einen niedrigeren BMI als die Wenigesser. Die typische Argumentation in der Ernährungswissenschaft lautet: Man sucht sich eine winzige Korrelation heraus und macht diese für das große Ganze verantwortlich. Wen es so einfach wäre, dass tatsächlich die Limonade schuld ist, dann könnte sie auch gesetzlich abgeschafft werden – und das Problem ist gelöst. Aber so einfach ist es leider nicht. (Günther Brandstetter, 3.9.2017)