Wer heute nach Bad Gastein kommt, erlebt eine aus touristischer Sicht geteilte Ortschaft: Da ist einmal der Kur- und Gesundheitstourismus, der das Zentrum von Bad Gastein prägt. Villenartige Hotels aus längst vergangenen Tagen, dazwischen etwas abgewohnte Bausünden aus der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts erzeugen einen eigenen, verstaubten, fast morbiden Charme. Daran ändert auch die fallweise hier vertretene deutsche Dandy-Szene mit ihren wilden Partynächten wenig.

Am exponierten Graukogel-Südgrat staut sich von Norden eine mächtige Nebelwand.
Foto: Thomas Neuhold

Und dann gibt es das moderne Gastein der technischen Aufstiegshilfen in fast alle Himmelsrichtungen. Der Skitourismus hat Bad Gastein ökonomisch am Leben erhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der einst mondäne Kurort ziemlich am Ende. Einer der Gründe dafür: Viele der ehemals wohlhabenden jüdischen Gäste kamen nicht mehr. Sie waren von den Nationalsozialisten ermordet worden oder hatten Europa für immer verlassen.

Gold am Graukogel

Der Startschuss für den Wintertourismus fiel mit der Austragung der alpinen Ski-WM im Jahr 1958. Die Bewerbe wurden auf den Graukogelpisten im Südosten Bad Gasteins ausgetragen. Heute spielt der Graukogel im Skizirkus zwischen Angertal und Sportgastein nur mehr eine untergeordnete Rolle, damals aber war das der Berg des Toni Sailer. Der Kitzbüheler kam mit drei Olympia-Goldmedaillen aus Cortina d’Ampezzo (1956) und holte am Graukogel dann wieder drei Gold- und eine Silbermedaille.

Klimawandel konkret: Die Reste des einst mächtigen Tischlerkees vom Anstieg zum Graukogel aus gesehen.
Foto: Thomas Neuhold

Für Wanderer und Bergsteiger hat der Bad Gasteiner Hausberg keine Medaillen zu vergeben. Er lockt mit einem auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht erreichbaren Gebirgserlebnis: Gebirgsseen, Almmatten und ein Blick zu den "echten" Bergen, den Dreitausendern der Tauern.

Eins vorneweg: Natürlich kann man den Graukogel mit Liftunterstützung am Normalweg auch in zwei Stunden "machen". Was man aber so versäumt ist der morgendliche Weg durchs Kötschachtal mit dampfendem Herbstnebel und dem Anstieg zum malerischen Reedsee, eingebettet in ein Meer goldgelb gefärbter Lärchen. Man muss sich von diesem Ort regelrecht losreißen, um die Hochalmen am Seekarl und am Windschursee in die Palfener Scharte (2321 m) zu gelangen.

Knackiger Südgrat

In der Scharte ist dann eine Entscheidung fällig: Entweder man steigt zum gleichnamigen See ab und wandert unter der Westseite hinüber zur Bergstation des Graukogelliftes – samt bewirtschafteter Hütte (1954 m); oder man peilt den Graukogel-Südgrat an. Hier geht es von der Scharte teilweise etwas luftiger mit Passagen im I. Schwierigkeitsgrad meist entlang der Schneide (der erste Aufschwung wird rechts umgangen) direkt hinauf zum Gipfel auf 2492 Meter.

Der Reedsee gehört zu den schönsten Bergseen im gesamten Nationalpark Hohe Tauern.
Foto: Thomas Neuhold

Der Abstieg nach Norden ist auch kein Halbschuhgelände. Dieser führt zum Aussichtspunkt Hüttenkogel und direkt hinab zur Graukogelhütte. Retour ins Kötschachtal folgt man dem Pfad entlang des alten Schleppers nach Nordwesten zur Forststraße und dann in Kehren nach Norden zum Ausgangspunkt.

Ein alternativer Ausgangspunkt für eine Graukogelüberschreitung ist der Berggasthof Windischgrätzhöhe direkt über Bad Gastein. Die Route führt von hier in die Palfener Scharte, dann weiter wie oben. Abgestiegen wird über die Mittelstation des Graukogelliftes. Nachteil: Die Zufahrt ist nur mit dem Pkw möglich. (Thomas Neuhold, 1.9.2017)