Die Felsenhöhle von Covadonga ist seit westgotischer Zeit das wichtigste Marienheiligtum Nordspaniens.

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Am 8. September stehen Folkloregruppen vor der Jungfrau von Covadonga Schlange. Andere Asturianer besuchen die "kleine Heilige" lieber an ruhigeren Tagen.

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Erinnert ein wenig an Mariazell: die Basilika in Covadonga.

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Ein Greißler in Nordspanien, voll mit Sachen, die man im Alltag braucht: Matratzen, Lampenschirme, Babylätzchen, Kaffeehäferl. Das Geschäft steht an der Hauptstraße des Ortes Bimenes, mitten in Asturien. Die kleine Region liegt am Golf von Biskaya, es regnet oft, die Landschaft ist grün und hügelig. Normalerweise ist das Leben in Bimenes sehr ruhig. Nur an diesem Tag nicht. Alle sind voller Vorfreude auf den Regionalfeiertag zu Ehren der Schutzpatronin von Asturien, der Vírgen de Covadonga. Dieses Jahr wurden die Bürger von Bimenes ausgewählt, um die Feiern am Marienwallfahrtsort Covadonga mitzugestalten.

Folklore und Würste

In einer Ecke des Geschäfts steht Alicia. Sie ist 15 und lässt sich gerade einkleiden: braun geblümtes Kopftuch, weiße Bluse, gelbes Leiberl, dunkles Schultertuch und dunkler Rock, weiße Schürze. Alicia gehört zur Folkloregruppe. Sie wird morgen singen und Opfergaben bringen. Vier Körbe stehen auf dem Tresen des Ladens: Darin liegen Äpfel, eine Flasche Sidra, Räucherwürste und Kohlestücke. Sie erinnern an die längst geschlossenen Minen in der Region und zeigen das Beste, was Asturien kulinarisch zu bieten hat. Äpfel, Wein und Würste sind Identitätsstifter, und natürlich auch die Santina, die "kleine Heilige", die in einer Grotte in den Bergen bei Cangas de Onís steht. "Wenn die Leute an Asturien denken, dann denken sie an Covadonga", sagt Alicia, "mindestens einmal im Leben sollte man da gewesen sein, finde ich".

Die christliche Religion spielt in Asturien eine wichtige Rolle. Luis Miguel Monte, der Chronist von Bimenes, kennt die Zusammenhänge zwischen Religion, Identität und Landschaft. Als die Mauren 711 in Andalusien angelangten, zogen sie immer weiter nach Norden, bis Asturien. Dort scheiterten sie, an Don Pelayo, einem heute legendären christlichen Anführer, und an den schroffen Gipfeln der Picos de Europa, heißt es. "Hier hat die christliche Rückeroberung angefangen", erzählt der 56-Jährige stolz, "in Asturien wurde die Nation geboren."

Unvollständiges Erbe

Diese Deutung teilen nicht alle Spanier. Vielen gefällt diese Einheit von Religion und Identität nicht. Jahrhundertelang hieß es, nur ein katholischer Spanier sei ein guter Spanier. Viele Spanier vermissen heute die Würdigung des arabischen Erbes, denn immerhin lebten in Spanien fast 800 Jahre lang Muslime, und die Juden nicht zu vergessen. Die lebten noch länger auf der iberischen Halbinsel. Doch Spanien nimmt sich seit Jahrhunderten als christliches Land wahr.

Das wird am 8. September in Covadonga deutlich. Die Kapelle von Bimenes spielt, alle strahlen, trotz des Nieselregens. Alicia geht zwischen zwei Nachbarinnen und trägt ihren Korb voller Äpfel. Die Musik der Dudelsäcke und Tamburine breitet sich aus, über den großen Paradeplatz, über die Basilika, die Dächer des Klosters, der Internatsschule und des Restaurants, über die üppigen Laubbäume bis in die wolkenverhangenen Berge. Etwas abseits ist die Mariengrotte in eine vertikale Felswand gesprengt. Die Figur trägt einen roten, mit Goldfäden bestickten Samtumhang und ist von frischen Blumen umgeben. Hunderte Besucher stehen Schlange. Sie wollen sie küssen. Geduldig warten sie in einem Gang, der durch den Felsen zur Grotte führt. Er ist erleuchtet von unzähligen Opferkerzen.

In den ersten Reihen

Fast bescheiden wirkt die Heiligenfigur im Vergleich zur Pelayo-Statue auf dem Paradeplatz. Sie ist überlebensgroß und muskelbepackt. Den Blick hat der Held in die Ferne gerichtet. In der Rechten hält er ein Schwert. Hinter ihm ragt ein Kreuz in den Himmel, dasselbe Kleeblattkreuz, das auch die Flagge Asturiens ziert: Gelb auf hellblauem Grund. Die Besucher strömen an Pelayo vorbei zur Kirche. Sie füllt sich schnell. Hier kann man die Einheit von Religion und Geschichte erkennen, die der Dorfchronist von Bimenes erwähnt hat. In den ersten Reihen sitzen Geistliche neben Regionalpolitikern und uniformierten Angehörigen der Guardia Civil. Die paramilitärische Polizeieinheit erinnert viele bis heute an die Diktatur. Überhaupt wurde in den fast 40 Jahren der nationalkatholischen Franco-Diktatur Covadonga als Nationalheiligtum verehrt – den Ruf des rechten Horts hat der Ort bis heute.

Zwei Seiten am Paradeplatz

Viele anders denkende Asturianer kommen trotzdem. Sie distanzieren sich von der Deutung. Für sie ist Covadonga einfach ein Ort der Heimatverbundenheit. Francisco Abello zum Beispiel. Der 57-Jährige kommt jedes Jahr und ist doch kritisch. Eine Kerze für seine "kleine Heilige" habe er schon angezündet, sagt er. Jetzt steht er aber nicht in der Kirche, sondern in einer kleinen Bar auf der anderen Seite des Paradeplatzes.

Das Beisl ist randvoll. Ein Fernseher überträgt die Messe, aber kaum einer verfolgt das Geschehen. Abello findet, dass sich Spanien vor allem jetzt, in Zeiten von Immigration und Terror durch radikalisierte Islamisten anderen Religionen öffnen sollte. "Das Bild vom katholischen Spanien ist sehr rückständig", sagt der Mann aus der Regionalhauptstadt Oviedo, schließlich sei seit 1978 die Trennung von Kirche und Staat in der Verfassung verankert.

Neben Abello am Tresen steht Amable González aus der Hafenstadt Gijón. Auch sie war schon bei der Schutzpatronin in der Grotte, die Messe spart auch sie sich. "Das ist was für die Wichtigen", sagt sie, "die kommen doch nur, um gesehen zu werden." (Brigitte Kramer, 3.9.2017)