Der Zaun an Ungarns Südgrenze wurde im Herbst 2015 errichtet, als die Flüchtlingsbewegungen über den Balkan nach Westen auf dem Höhepunkt waren. Seitdem kommen jedoch wenige Menschen über Ungarn.

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Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef Viktor Orbán will sich die teuren Sperranlagen an den Grenzen zu Serbien und Kroatien teilweise von der Europäischen Union bezahlen lassen. "Mit der Konstruktion des Zaunes, mit der Ausbildung und Stationierung von 3000 Grenzjägern schützt unser Land nicht nur sich selbst, sondern ganz Europa vor der Flut von illegalen Migranten", schrieb Orbán in einem Brief an den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Ungarn seien dadurch Kosten von 800 Millionen Euro entstanden. "Wir würden es als vernünftig erachten, die (...) Kosten gerecht zu teilen", fügte er hinzu. Den Brief schickte Orbán am Donnerstag ab, am Freitag wurde das Faksimile des englischsprachigen Schreibens auf der Webseite des Ministerpräsidenten veröffentlicht.

Die EU-Kommission erteilte der Forderung eine klare Absage. "Wir finanzieren nicht den Bau von Zäunen an den Außengrenzen", sagte ein Sprecher am Freitag. Die von Ungarn monierte Solidarität sei außerdem kein "Menu à la carte" und keine Einbahnstraße. Man könne nicht Unterstützung für die Grenzsicherung fordern und gleichzeitig gemeinsame Entscheidungen zur Flüchtlingsverteilung zurückweisen.

Bau war nicht abgesprochen

Orbán hatte den Grenzzaun im Herbst 2015 errichten lassen, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegungen nach West- und Nordeuropa. Die Maßnahme war weder mit der EU noch mit wesentlichen EU-Partnern koordiniert oder abgesprochen.

Zur Jahreswende 2015 auf 2016 ging dann die Dynamik der Flüchtlingswanderungen rasant zurück. Zum einen ließen die stürmischen Wetterverhältnisse ab dem Spätherbst weniger Flüchtlinge in die Schlauchboote an der türkischen Westküste steigen. Zum anderen machten die Staaten entlang der Balkanroute, angefangen mit Griechenlands Nachbarland Mazedonien, ihre Grenzen für Flüchtlinge immer schwerer passierbar. Im März 2016 drückte schließlich das EU-Türkei-Abkommen die Zahl der Asylsuchenden auf der Route drastisch. Die meisten werden praktisch schon in der Türkei zurückgehalten.

Beschränkte Effizienz

Für die wesentlich kleinere Zahl von Flüchtlingen, die noch unterwegs ist, ist Ungarn trotz Grenzzauns immer noch ein relativ beliebtes Durchzugsland. Das ist darauf zurückzuführen, dass an der Route von Serbien über Ungarn nach Österreich Schleppernetze ihre Dienste anbieten, deren Wurzeln und Expertise bis in die Zeit der Jugoslawien-Kriege der 1990er-Jahre zurückreichen.

Aber selbst in heutigen Zeiten erweist sich Orbáns Zaun als beschränkt effektiv. Die österreichische Polizei greift im Burgenland 100 Flüchtlinge pro Woche auf. Die ungarischen Behörden stellen am Grenzzaun wöchentlich etwa 70 Menschen – so viele gelangen vorerst nicht nach Österreich. Da sie aber von den Ungarn über die Grenze nach Serbien zurückgeschoben werden, versuchen sie es zumeist erneut, um dann doch irgendwann Österreich zu erreichen.

Grenzzaun als Symbol

Für Orbán als Populisten ist der Grenzzaun aber ein Symbol, das er für innenpolitische Zwecke benötigt. Er ist das "Bollwerk" gegen die "muslimischen Invasoren", die ansonsten erneut das Abendland erobern würden. Orbán, der sich schon mal selbst als "Burgkapitän der äußersten Festung Europas" bezeichnete, bewahre den alten Kontinent vor diesem grausamen Schicksal, vermittelt im Land die Regierungspropaganda.

Der Brief an Juncker passt auch ins tagespolitische Geschehen. Am Mittwoch entscheidet der Europäische Gerichtshof über die Klage Ungarns und der Slowakei gegen die 2015 beschlossene Quote zur Verteilung von Asylbewerbern, die die restlichen EU-Staaten Italien und Griechenland abnehmen sollen. Auf Ungarn würden 1300 Menschen entfallen. Bis jetzt hat es keinen Asylbewerber gemäß dieser Quote aufgenommen. Wahrscheinlich wird das Gericht die Klage abweisen. Wenn nun Orbán mit großem Paukenwirbel von der EU Geld für den Grenzzaun fordert, kann er zumindest innenpolitisch von der drohenden Niederlage ablenken. (Gregor Mayer aus Budapest, 1.9.2017)