Wien – So manche fühlen sich vergessen, aussortiert, als Verlorene im rundum erlebten Wohlstand. In Vorwahlzeiten aber sind sie jetzt plötzlich wieder begehrt und umworben – die hunderttausenden FPÖ- und Protestwähler. Sie werden die Nationalratswahl signifikant mitentscheiden.

Aus der ORF-ZIB: Peter Pilz hat ein Buch verfaßt, das wohl nicht zufällig zu Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs erscheint. Pilz sieht Österreich und Europa in Gefahr. Er sieht sein Buch als Aufruf zur Selbstverteidigung. Zu schützen gelte es vor allem die Freiheit in der Heimat Österreich.
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Sebastian Kurz, der junge Chef der – schon wieder einmal neuen – ÖVP, nähert sich auf seiner Wählerakquisitionstour mit seinem JVP-Team von rechts als – wie es der Vorarlberger FPÖ-Chef Reinhard Bösch launig unterstellte – "freiheitliche Vorfeldorganisation". SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern kommt von links der Mitte mit der Gerechtigkeitserzählung, dass die da unten mehr von denen da oben holen sollen.

Aber genau hier auf der linken Flanke trifft er nun auf einen alten Kontrahenten: den Ex-Grünen Peter Pilz, der ebenfalls um die blauen Proteststimmen buhlt und mit seinem am Freitag präsentierten Buch "Heimat Österreich – Ein Aufruf zur Selbstverteidigung" zu erläutern versucht, warum er für sich einen politischen Richtungswechsel für notwendig gefunden hat.

"Protestwähler nicht verspotten"

Was aus dem 137 Seiten umfassenden Kompendium klar herauszulesen ist: Pilz hat sich endgültig abgenabelt von seiner Mutterpartei, in der er politisch groß geworden ist. Die Umweltthemen lässt er seinen alten Freundinnen und Freunden von den Grünen. Pilz will nun das, woran er bei den Grünen gescheitert ist: eine politische Alternative zu den rechten Populisten aufbauen, die seiner Meinung nach deshalb reüssieren, weil ihre Sorgen auch von den Grünen bisher links liegengelassen worden sind.

"Man kann", schreibt Pilz, "Protestwähler nicht gleichzeitig verspotten und gewinnen. Manche von ihnen haben Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung. Viele von ihnen wissen politisch erstaunlich wenig, aber das sagt mehr über unser Bildungssystem und weniger über sie." Thematisch bricht Pilz in freiheitliche Besitzstände ein, zieht aber Grenzen: "Die nationalistische Rechte hetzt arme Inländer auf arme Ausländer. Wir schützen die Menschen vor den Hetzern."

Das Nichterkennen des neuen politischen Klimas, dass eben das brennende Thema nicht mehr die Umwelt, sondern die Sicherheit sei, führt seiner Meinung nach zum Abstieg der Grünen. Er ist überzeugt, jene sieben Prozent, "die die Grünen bereits vertrieben haben", könnten ohne eine Änderung ihrer Politik von ihnen selbst nicht mehr zurückgeholt werden. Einige würden wohl zur SPÖ abwandern. Aber auf dem Weg dahin, hat jetzt Pilz eben, so vermeint er, eine neue politische Raststation für müde Grüne hingestellt.

Herberge für enttäuschte Rote

Aber wie in seinem Handbuch für fortgeschrittene Grüne herauszulesen ist, will er auch Herberge enttäuschter Roter sein. Auch Pilz schreibt sich wie Kern den Kampf um Gerechtigkeit auf die Fahren. Die Conclusio klingt stark nach dem SPÖ-Slogan "Hol dir, was dir zusteht".

Irgendwie knüpft Pilz dort wieder an, wo sein politisches Engagement begonnen hat: beim VSStÖ, den sozialistischen Studenten der SPÖ, von wo ihn seinerzeit der damalige VSsTÖ-Vorsitzende und heutige Wiener Bürgermeisters Michael Häupl – wohl wegen allzu radikaler linker Umtriebe – hinausgeschmissen hatte.

Eine schmerzhafte Trennung von der SPÖ, erinnerte sich jüngst der rote Klubobmann Andreas Schieder, der Pilz nach dem Raussflug bei den Grünen das Angebot machte, zur SPÖ "zurückzukehren".

Zwei große Feinde

Pilz ortet zwei große Feinde der österreichischen und europäischen Gesellschaft: die Rechten und den politischen Islam.

Und dabei gehe es um die Verteidigung der Heimat, wobei Pilz sich hier um eine eigene Definition bemüht: Europa und Österreich seien "die Heimat von Menschenrechten und Bürgerrechten, die Heimat des Verfassungsstaats, der unabhängigen Justiz, der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und der strikten Trennung von Kirche und Staat". Von diesem Heimatkonstrukt ausgehend, seien die beiden Bedrohung zu verstehen.

Weit größer als die Gefahr durch Europas Rechte stuft Pilz in seinem Manifest den "politischen Angriff der Islamisten" ein. Die extrem Rechte könne bei Wahlen ganz friedlich besiegt werden. Le Pen, Orbán oder auch Strache könnten abgewählt werden. "Beim politischen Islam ist das nicht möglich. Er stellt sich keinem demokratischen Verfahren", sagt Pilz. Detailliert schildert der Ex-Grüne, der mit einer neuen Liste ins Parlament will, seine Recherchen über den Einfluss des türkischen Präsidenten Recep Tayip Erdoğan auf europäische Gesellschaften und in welchem Ausmaß über diverse Vereine versucht werde, "islamische Spitzelsysteme zu installieren".

"Ankommenskultur"

Statt grüner Willkommenskultur proklamiert Pilz nun eine "Ankommenskultur". Sie solle klären, "was von Zuwanderern erwartet und was nicht geduldet wird. Falsche Toleranz ist ein Einfallstor für Unfreiheit. Das Recht auf Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern begründet auch die Pflicht, die Rechte der Frauen zu respektieren. Wer das nicht will, kann wieder gehen."

Pilz: "Manche Kritiker des politischen Islam glauben, sich gegenüber dem Vorwurf der 'Islamophobie' rechtfertigen zu müssen. Ich finde ihn lächerlich." Aber: Die FPÖ sage "Türken raus". Er sage: "Wir schützen unsere Türken vor Erdoğan."

Peter Pilz horchte in sich hinein und packte vieles, was ihm schon lange im Magen lag, in dieses sichtlich rasch zusammengeschriebene Manifest. Es ist letztlich eine große inhaltliche Abrechnung mit den Grünen, die seiner Meinung nach den Zug der Zeit versäumt haben und nun auf der Strecke bleiben. (Walter Müller, 1.9.2017)