Es gibt vieles, was Ai Weiwei während seiner politisch und künstlerisch stets sehr spannenden Karriere gut, sehr gut, superb gelöst hat. Sein letztes Werk, ein Dokumentarfilm namens Human Flow, zeigt dagegen auf, wo ethische Grenzen zu Eigenzwecken unverzeihlich überschritten werden.

Und das Traurige daran ist: Das ist gar nicht Intention dieses Filmes. Human Flow versucht, Fluchtbewegungen global aufzuzeichnen und die Flüchtenden dabei zu begleiten – als Masse, nicht als Individuen.

Ai Weiwei bemächtigt sich des Elends und des Leides – um daran selbst zumindest künstlerisch zu genesen. Er filmt nicht nur. Er mischt sich ein, er berührt, er nimmt sich Platz. Dieser Platz ist äußerst umstritten, denn die Verbrüderung währt nur so lange, solange die Kamera für ihn brauchbare Bilder auswirft. Anschließend kann er den Rücken kehren und zum nächsten Elend greifen und dann in sein Exil am Prenzlauer Berg zurückkehren. Ein Exil, aber eines mit Annehmlichkeiten: Sicherheit, Wertschätzung, Aufmerksamkeit.

Das vorübergehende Eintauchen in den langen Marsch durch Europa ist nicht mehr als ein Eintunken der Zehe ins wild bewegte Wasser der Entwurzelten. Wo Feinfühligkeit und Verantwortung für das fragile, verletzliche Gegenüber vonnöten wären, dort klafft emotionale Leere. Die schön inszenierten Bilder täuschen nicht über diese hinweg. (Julia Rabinowich, 3.9.2017)