Die Mathe-Matura war 2016 Anlass für grundlegende Diskussionen rund um die Zentralmatura.

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Auch im dieser Tage gestarteten Schuljahr werden wieder tausende junge Menschen die wichtigste Prüfung ihres Lebensabschnitts ablegen, die Matura. Ein Schuljahr haben sie nun Zeit, sich darauf vorzubereiten. Seit ihrer Zentralisierung sorgte die Matura immer wieder für Kontroversen. Besonders die Zentralmatura 2016 stand, nachdem bereits 2015 organisatorische Missstände beklagt worden sind, stark in der Kritik. Grund dafür waren nicht zuletzt aber hauptsächlich die schlechten Ergebnisse in Mathematik.

Im Jahr 2015 bestanden gemäß der Statistik des Bildungsministeriums 89,9 Prozent der Schülerinnen und Schüler die Mathematik-Matura beim ersten, regulären Mal – das deswegen als Einziges Aussagekraft über die zentrale Prüfung besitzt, DER STANDARD berichtete. 2016 waren es um 11,7 Prozent weniger positive Abschlüsse, nämlich 78,2 Prozent. Heuer bestanden 88,2 Prozent die Mathe-Matura beim ersten Antritt, also wieder zehn Prozent mehr als im Jahr 2016.

Es wäre angesichts dieser beträchtlichen und beträchtlich ähnlichen Unterschiede zu einfach zu behaupten, diese Fluktuation sei zufällig oder gar eine Folge mangelnder Kompetenz der Schüler oder Lehrer. Denn es ist genauso unwahrscheinlich, dass Lehrende beim Unterrichten nur eines Jahrgangs von ihren didaktischen Fähigkeiten verlassen werden, wie es ebenso unwahrscheinlich ist, dass so viele Lernende schul- und ortsübergreifend dümmer oder fauler seien als ihre Vorgänger und Nachfolger.

Die Variable Prüfung

Bleibt somit nur eine Variable, und das ist die Prüfung selbst. Gerade die Prüfung war es jedoch, die als am wenigsten variabel präsentiert wurde. Und diese scheint 2016 deutlich schwerer angesetzt gewesen zu sein. Anstatt das zu thematisieren, wurde auf Faktoren verwiesen, die, wenig überraschend, allesamt mit dem verantwortlichen Bifie nichts zu tun hatten. Beispiele dafür wären etwa "schlechtere Ergebnisse" der Lehrer und "unterschiedliche Lernstrategien" der Schüler (Jürgen Horschinegg, Direktor des verantwortlichen Bildungsforschungsinstituts Bifie), Bildungsministerin Hammerschmid ging mit ihrem "So what?" als Reaktion auf die ungewöhnlich schlechten Ergebnisse sogar noch einen Schritt weiter. Die dahinter stehende Mentalität geht nicht nur über Betroffene hinweg, sondern verhindert langfristig eine alle einbeziehende Entwicklung und Demokratisierung der Bildung.

Man mag sich fragen, inwieweit eine Prüfung, der sich einige tausend junge Menschen jährlich stellen, die gesamte Gesellschaft betrifft. Die Antwort ist: Sie wirkt sich sogar sehr stark aus. Wir sind alle – entweder als Eltern oder als Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft – verantwortlich, sie und ihren Rahmen zu gestalten. Die AHS stellt einen bedeutenden Teil unseres Bildungssystems dar, welches vom gesellschaftlichen Konsens einerseits und direkt durch unsere Wahlen und unser Engagement andererseits geformt wird. Unsere Handlungen prägen dadurch die Ausrichtung und Qualität der Bildung, mit der die Absolventen die Schule verlassen. Die Matura spielt hierbei keine geringe Rolle, denn auf sie wird in den späteren Schuljahren hingearbeitet, der Unterricht muss sich ihr als seinem Ziel anpassen. Und diese Ausrichtung und Qualität der Bildung formen unweigerlich die Zukunft unserer Gesellschaft.

Kritik umschiffen

Dass das Bifie, immerhin Repräsentant eines Themas von so hoher demokratischer Relevanz, Missstände wie Fluktuationen im Schwierigkeitsgrad lieber unter bewusstem Ausschluss der Öffentlichkeit behandelt, um sich keiner Kritik aussetzen zu müssen, zeugt davon, dass diesbezüglich der konstruktive Diskurs in unserer Gesellschaft von einer Denkweise versperrt ist, die die Akteure auf dem Weg zum eigentlich gemeinsamen Ziel einer möglichst guten Bildung für alle, in sich kontrahierende Gruppen aufteilt. Dabei liegt es in unser aller Möglichkeit, ein konstruktives Klima zu schaffen. Wir sind alle ermächtigt, wir sind alle gefordert. Das Bifie, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen, und die Bevölkerung – wir –, diese Offenheit und Ehrlichkeit in aller Klarheit einzufordern, uns gleichzeitig aber auch mit Diskursterminatoren wie Rücktrittsforderungen zurückzuhalten und damit die Grundlage für einen solch gemeinsamen Austausch zu ermöglichen.

Das Bifie scheint zumindest etwas dazugelernt zu haben, denn die Ergebnisse der diesjährigen Mathe-Matura waren, wie eingangs erwähnt, wieder um zehn Prozent besser als letztes Jahr. Was es jedoch noch nicht gelernt hat, ist, dass ein konstruktiver offener Diskurs dem Erreichen einer Bildung förderlich wäre, die Absolventen möglichst gut auf ihr Leben vorbereitet. Denn es liegt im Interesse aller, eine gute Bildung und faire Prüfungen zu ermöglichen. Und dieses Interesse ist essenziell für unsere Zukunft. Lassen wir uns also ein Klima schaffen, indem alle Seiten offen, ehrlich und altruistisch motiviert über die Zukunft unserer Gesellschaft diskutieren und diese schaffen können. (Daniel Gratzer, 6.9.2017)