Das Lammherz stammt aus dem Buch "Mein Pannonien" (Krenn-Verlag). Max Stiegl bereitet es mit Gin zu und serviert dazu eine Karfiolcreme mit Trüffeln.

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"Eine Banane ist für mich exotischer als jedes Innereiengericht." Max Stiegl

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"Gäste reagieren meistens sehr positiv, wenn sie das erste Mal Hoden essen." Richard Rauch

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Findet man in der Speisekarte eines Restaurants Gerichte wie Rognos blancs, Cojones de Toros oder Rocky Mountain Oysters, wissen meistens nur wirkliche Connaisseurs, was sie nach dem Bestellen erwartet. Große Augen dürften nur jene Gäste machen, die nicht nachfragen oder so tun, als wüssten sie, was sie bestellen.

Die Überraschung ist aber spätestens garantiert, wenn der Kellner die "weißen Nieren" zum Tisch bringt. Bei dieser Delikatesse handelt es sich nämlich um Stierhoden, die meistens gebraten oder gebacken serviert werden. Irgendwie verständlich, dass man lieber auf alternative Namen ausweicht.

Gegen das obligatorische Kopfkino ist man nämlich als Innereienanfänger meistens machtlos. Und wer bei kurz angebratenen und butterweichen Klöten eher an das Dschungelcamp denkt als an eine köstlich nussig schmeckende Delikatesse, der wird sich wahrlich schwertun.

"Steirische Jakobsmuscheln"

Um es den Neo-Innereienessern einfacher zu machen, ist es auch hierzulande nicht unüblich, mit derartigen Euphemismen zu arbeiten. Spitzenkoch Richard Rauch (Restaurant Steira Wirt) serviert die virilen Organe des Stiers als steirische Jakobsmuscheln. Viele Gäste erfahren erst danach, was sie eigentlich essen. "Wir haben bei einer Veranstaltung in Berlin gekocht. Dort habe ich das Gericht auch serviert. Eine Dame im Cocktailkleid meinte zu mir, dass diese Jakobsmuscheln gar nicht nach Meer schmecken. Sie war sehr überrascht, als ich ihr sagte, dass es sich um Stierhoden handle. Die Reaktionen der Gäste sind zum Glück meistens sehr positiv", sagt Rauch.

Dass er die Hoden in seinem Restaurant serviert, hat für den Küchenchef nichts mit Effekthascherei zu tun. Vielmehr ist es für Rauch, der auf einem Bauernhof aufwuchs, selbstverständlich, alle Teile vom Tier zu verkochen. "Die Innereienküche hat einen hohen Stellenwert in unserer Kultur. Das sollten wir nicht vergessen. Als ich ein Kind war, haben wir immer nach dem Schlachten Gerichte wie geröstete Leber, Blutwurst oder -tommerl gemacht", sagt Rauch. Bluttommerl ist eine Art gebackener Blutsterz, den es an Schlachttagen früher für die Helfer auf dem Hof gab.

Renaissance der Organe

Was zu jener Zeit oft eine Notwendigkeit war, wird heute wieder populär. Leber, Nieren, Lunge oder Hirn finden sich wieder häufiger in österreichischen Speisekarten. Und das macht nicht nur aus nachhaltiger Sicht Sinn. Innereien schmecken – richtig zubereitet – nämlich köstlich.

Über geröstete Leber oder das klassische Wiener Salonbeuschel kommen viele Österreicher aber zeitlebens nicht hinaus. Dabei hat die Innereienküche wesentlich mehr zu bieten. Davon konnte man sich schon in Kochbüchern im 17. und 18. Jahrhundert überzeugen. Gebackener Kalbskopf, Hirnkoteletts oder sauer gedünsteter Kuheuter zum Beispiel waren oft zu finden und alles andere als exotisch.

Für Max Stiegl (Gut Purbach), der bekannt für seine Innereienküche ist, sei eine Banane wesentlich exotischer als jede Innerei. "Das Kochen mit Innereien ist in den Hintergrund gerückt, als man begonnen hat, Spaghetti Carbonara und Toast Hawaii zu essen. Auch das Fleisch hat an Wert verloren. In den letzten 20 Jahren ist Fleisch immer günstiger geworden. Mittlerweile kostet ein Kilo Schnitzelfleisch weniger als ein Salatkopf", sagt Stiegl.

Die Verantwortung sieht er auch bei den Gastronomen, von denen sich noch mehr an Innereien herantrauen könnten. "Komischerweise gibt es heute in jedem Lokal Ceviche. In Wirklichkeit ist das ein roh marinierter Fisch mit ein paar Zwiebeln. Dass man das Gericht aus Peru lieber isst als beispielsweise eine traditionell hergestellte Rehpastete, die wirkliches Können voraussetzt, verstehe ich nicht."

Der Mensch scheint also doch ein Gewohnheitstier zu sein. "Würde man heute überall Piccata milanese mit Kalbshirn servieren, wäre es ganz selbstverständlich für uns. In Italien bekommt man in jedem Wirtshaus Trippa florentina, Kutteln in Tomatensauce. Oder auch den Innereieneintopf Finanziera aus dem Piemont", sagt Stiegl. Zumindest mit Kalbsbeuschel hat man das bei uns geschafft. Dieses gibt es in fast jedem guten Wirtshaus. Beim Beuschel handelt es sich um eine Art Ragout aus Lunge und Herz.

Zeitgemäße Innereienküche

Richard Rauch zeigt, dass man Innereien auch anders zubereiten kann als vor 200 Jahren und serviert seinen Gästen das Beuschel mit Curry und Zitronengras. Für ihn sei es eine moderne Interpretation eines traditionellen Gerichts. Weniger traditionell, aber nicht minder spannend ist da schon das beste Stück des Bullen, das der Küchenchef nach dem Kochen in dünne Scheiben schneidet, trocknet und in heißem Fett puffen lässt. "Das ist wie ein Hummerchip", sagt Rauch. Als er das Gericht vergangenes Jahr bei einem Kochsymposium in Graz präsentierte, erntete er Applaus von Kollegen.

Dass Innereien längst nichts mehr für Kaldaunenschlucker (so wurden im Mittelalter Menschen genannt, die auf Gerichte mit Innereien angewiesen waren) sind, zeigen vor allem Spitzenrestaurants wie das Steirereck im Wiener Stadtpark, das immer wieder Innereiengerichte auf der Karte hat. Für Gourmets sind Innereien eine Selbstverständlichkeit. Und eigentlich sollten sie das für jeden sein, der sich auch nur irgendwie mit gutem Essen auseinandersetzt, glaubt man dem vor einem Jahr verstorbenen Deutschen Wolfram Siebeck. Der Gastrokritiker hielt die Zubereitung von Innereien für die wirklich hohe Kunst und brachte einige seiner Rezepte im Buch "Das Kochbuch der verpönten Gerichte" zu Papier.

Auch Max Stiegl ist überzeugt davon, dass nicht jeder Innereien zubereiten kann. "Ein Steak anzubraten ist keine große Kunst. Wenn man es zu lange gart, kann man es immer noch aufschneiden und als Rindfleischsalat verwenden. Wenn ein Beuschel nach stundenlangem Zubereiten plötzlich anbrennt, dann war die ganze Arbeit umsonst. Es gibt außerdem kaum noch Köche die eine richtige Pastete zubereiten können", sagt Stiegl.

Über den vielzitierten Ekelfaktor bei Hoden, Bries oder Kutteln können Innereienliebhaber nur schmunzeln. Und Wolfram Siebeck? Der hielt alle jene, die den Geschmack als widerlich bezeichneten, für Ahnungslose, die ihre kulinarische Sozialisierung McDonald's zu verdanken haben. Diese "Ahnungslosen" mit Gewalt zu überzeugen ist nicht die Aufgabe der Küchenchefs. Erst wer es schafft, sein Kopfkino auszuschalten und sich auf etwas Neues einzulassen, wird erkennen, wie großartig roh mariniertes Lammherz, gesottene Rehzunge und Co schmecken. (Alex Stranig, RONDO, 19.9.2017)

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