Von wegen museumsreif oder gar tot: Ideologien prägen auch heute noch die Debatte über die staatliche Präsentation der Geschichte Österreichs. Im Bild das Haus der Geschichte in St. Pölten.

Foto: Heribert CORN

Als nach dem Zweiten Weltkrieg das niederösterreichische Landesmuseum an seinem damaligen Standort in der Wiener Herrengasse von Bundespräsident Theodor Körner 1951 wiedereröffnet wurde, stellte dieser fest: "Das wiedererstandene Landesmuseum ist auch eine Art Schule, wo unsere Jugend staunend lernen wird. In diesem Sinne hat sich das Land Niederösterreich ein großes Verdienst auch um die Wiener Kinder erworben (...); hat es doch (...) nicht seinesgleichen."

Diese Rede könnte auch bei der Eröffnung des Hauses der Geschichte Niederösterreich (HGNÖ) im Jahr 2017 gesprochen worden sein. Damals wie heute gibt es zwar ein Wiener Stadtmuseum (heute: Wien-Museum auf dem Karlsplatz), doch kein Nationalmuseum; heute noch mehr als 1951 findet man im niederösterreichischen Landesmuseum – seit 2016: Museum Niederösterreich – zwar keinen Ersatz für ein solches, aber doch eine brauchbare Alternative.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich der Verein Deutsche Heimat um die Gründung eines Nationalmuseums für den deutschsprachigen Teil der Habsburgermonarchie bemüht – und scheiterte. Gleich erging es der Initiative für eine "Geschichtekammer" 1919. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte Bundespräsident Karl Renner ein Museum der Ersten und Zweiten Republik zu gründen, starb aber vor einer etwaigen Eröffnung; seine Nachfolger interessierten sich nicht für das Museumsprojekt, bereits fertiggestellte Ausstellungsräume in der Hofburg wurden wieder ausgeräumt und die Bestände eingelagert. Ein Museum österreichischer Kultur sollte zwar einige Jahre offen haben, scheiterte jedoch an zwei Standorten. Das in den 1980er-Jahren für den Albertinaplatz (heute: Helmut-Zilk-Platz) gedachte Haus der Republik kam über eine städtebauliche Studie nicht hinaus.

Haus der Geschichte in St. Pölten

Die Diskussionen um ein Haus der Toleranz bzw. Haus der Geschichte ab den späten 1990er-Jahren führten zu diversen Konzeptpapieren und – nach vielen Debatten und langem Stillstand – 2016 zur Gründung eines Hauses der Geschichte Österreichs. Dieses soll 2018 in der Hofburg eröffnet werden. Allerdings wird dort (vorerst) keine Dauerausstellung zu sehen sein.

In der Zwischenzeit kann man sich mit österreichischer Geschichte im Museum in St. Pölten beschäftigen. Im Frühjahr 2014, als wohl kaum jemand mehr mit einer Realisierung eines österreichweiten Hauses der Geschichte rechnete, wurde in Niederösterreich der Beschluss gefasst, ein Haus der Geschichte einzurichten, um eine "adäquat[e] Darstellung des historischen Kernlandes Österreichs" zu bieten, wie es in der Regierungsvorlage hieß. Eilig wurde ein wissenschaftlicher Beirat einberufen – der von der Politik beauftragte Leiter Stefan Karner scharte mehr als 92 (!) Persönlichkeiten um sich, die innerhalb weniger Monate substanzielle Papiere im Umfang von 800 Seiten vorlegten. Eine Umsetzungsgruppe überführte diese in ein museales Konzept.

Auch wenn das HGNÖ nicht den direkten Auftrag hat, das fehlende Nationalmuseum zu ersetzen, bietet die neue Geschichtsausstellung in St. Pölten weit mehr als rein niederösterreichische Landesgeschichte. Im Gegensatz zum Wiener Museumsprojekt wird die Geschichte nicht auf Zeitgeschichte mit ein paar Exkursen in die Jahrhunderte davor reduziert: Das HGNÖ zeigt Objekte von den ersten menschlichen Besiedelungen bis zur Gegenwart aus der reichhaltigen Landessammlung. Diese sind die Ausgangspunkte für zahllose Geschichten.

Kompetenzzentrum für (Zeit-)Geschichte

Seit dem Beschluss für diese neue Dauerausstellung aus dem Jahr 2014 wurden die Landessammlungen gezielt erweitert: Zum einen konnten über eine Sammelaktion viele Originale erworben werden, die über alltags- und sozialgeschichtliche Phänomene Auskunft geben. Zum anderen wurde im Sommer 2015 Migrationsgeschichte gesammelt. Zu sehen ist in St. Pölten nun beispielsweise ein Kinderwagen, der an der Grenze in Nickelsdorf entdeckt wurde. Griechische Babynahrung, in Rumänien hergestellte Feuchttücher, ein serbisches Busticket, eine kroatische Milchpackung, ungarisches Trinkwasser und die Hülle einer österreichischen SIM-Karte veranschaulichen die klassische Fluchtroute über Griechenland, den Westbalkan und Ungarn nach Österreich. Damit wurde das HGNÖ schon vor seiner Eröffnung zu einem Kompetenzzentrum für die Sammlung von (Zeit-)Geschichte.

Die neue Dauerausstellung bietet neben 1500 Objekten und zahlreichen Medienstationen innovative inhaltliche und gestalterische Ansätze: So ist der Platz für Gruppenvermittlungsprogramme integraler Bestandteil der Ausstellung und kann von allen Besucherinnen und Besuchern genutzt werden. Außerdem fällt der selbstreflexive Ansatz des Museums positiv auf – gleich zu Beginn der Ausstellung wird erklärt, wie Geschichtsdarstellungen in Museen zustande kommen. In vielerlei Hinsicht wird damit deutlich, dass das HGNÖ die Tradition des Landesmuseums als "Schulmuseum" fortsetzten soll. Zumindest bis der Bund mit seinem Haus der Geschichte nachzieht, gelten daher Körners Worte von 1951. (Andrea Brait, 5.9.2017)