Holger Czukay ist tot. Der Musiker starb 79-jährig.

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Wien – Das Rückgrat der deutschen Band Can war ihre Rhythmusabteilung. Neben dem im Jänner verstorbenen Schlagzeuger Jaki Liebezeit bediente dafür Holger Czukay den Bass. Gemeinsam schufen sie eine Musik, die sich gängigen Rockschemata entzog; nicht einmal als Rockband wollte Can bezeichnet werden, sie galten als wesentliche Vertreter des Krautrock. Die sture repetitive Ausrichtung von Can erzeugte eine hypnotische Atmosphäre, Czukay und Liebezeit bezogen ihre Inspiration beim Freejazz, bei der experimentellen und der Minimalmusik.

Czukay, mit Irmin Schmidt Gründungsmitglied von Can, studierte in den 1960er-Jahren Musik bei Henri Pousseur und Komposition bei Karlheinz Stockhausen in Köln, bevor 1968 erste Aufnahmen von Can entstanden.

Am Dienstag wurde Holger Czukay tot im Can-Studio entdeckt, Ursache und Zeitpunkt seines Todes sind zurzeit noch unbekannt; erst vor fünf Wochen ist seine Frau gestorben, die Musikerin Ursula Kloss alias U-She.

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Der am 24. März 1938 in Danzig als Holger Schüring geborene Musiker war mit seinem Schnauzbart eine charismatische Erscheinung. Er spielte gerne mit nacktem Oberkörper und sah ob einer sich früh einstellenden Stirnglatze aus wie ein Praterstrizzi.

Bei Can blieb er bis 1977, war an allen wesentlichen Alben der Band beteiligt, deren fünf Individualisten versuchten, ihre Persönlichkeiten aus der Musik rauszuhalten, das Werk vor die jeweilige Eitelkeit zu stellen, wie ein Kollektiv zu klingen, wie eine (organische) Maschine. Dazu kam das bandeigene Studio Inner Space, das mit seinem spezifischen Klang als sechstes Mitglied fungierte. Dort erging sich Czukay früh in elektronischen Etüden, spielte mit dem mit Matratzen tapezierten Raum, experimentierte im Bereich der Elektroakustik.

Arbeiten wie das 1969 erschienene Monster Movie, Tago Mago (1970), Ege Bamyasi (1972) oder Future Days (1973) gelten als einflussreiche Werke, auf die sich experimentelle Rockgruppen ebenso berufen wie Musiker aus dem elektronischen Fach. David Bowie war Fan, Brian Eno oder James Murphy vom LCD Soundsystem – und dutzende Künstler und Acts mehr. Neben Kraftwerk war Can die einflussreichste deutsche Band ihrer Zeit.

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Nach seinem Weggang von Can veröffentlichte Czukay rund 20 Alben, viele davon waren Kollaborationen mit anderen Querdenkern, etwa Full Circle, eine von Dub und Postpunk beeinflusste Arbeit mit Jah Wobble (von Public Image Ltd.) und Jaki Liebezeit von Can. Czukay arbeitete mit Trio, mit David Sylvian, Brian Eno, der britischen Popband Eurythmics und vielen mehr. Er produzierte Filmmusik, Ambient, Techno ... – der Multiinstrumentalist blieb bis zuletzt neugierig und pflegte sein kauziges Image ebenso wie das Erbe von Can. Holger Czukay wurde 79 Jahre alt. (Karl Fluch, 6.9.2017)