Gertraud Burtscher mit ihrer "Oma-Revolte" am Wiener Heldenplatz.

Foto: Heribert Corn

Bludenz – Der rasche Aufstieg und jähe Fall der 74-jährigen Gertraud Burtscher, die sich mit ihrer "Oma-Revolte" für gerechte Frauenpensionen einsetzte, wirft einige Fragen auf. Wie konnte es passieren, dass in Vorarlberg, einem Land, in dem jede jeden zu kennen glaubt, die politische Vergangenheit einer Person, die in wenigen Wochen (fast) alle Parteien und Medien für die Anliegen ihrer "Oma-Revolte" begeistern konnte, im Verborgenen blieb?

Warum erinnerte sich keiner der Historiker, der Journalisten und Journalistinnen, die sich mit der rechten Szene in Vorarlberg beschäftig(t)en, an die braunen Aktivitäten der Frau in den 1980er-Jahren? Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Gertraud Burtscher hieß damals Gertraud Orlich. Nach ihrem früheren Namen oder früheren Parteizugehörigkeit hat Gertraud Burtscher niemand gefragt. Auch nicht die Autorin dieser Zeilen.

Es gab im STANDARD-Forum einen Hinweis auf die Vergangenheit von Gertraud Burtscher, dem von uns leider nicht ausreichend nachgegangen wurde.

Es fehlen dennoch Antworten auf weitere Fragen: Warum war keiner Zeitzeugin, keinem Zeitzeugen aus der Nachbarschaft, der Heimatgemeinde die politische Wiederkehr der früheren NDP-Funktionärin einen Leserbrief in den regionalen Medien wert?

Und: Warum traut sich eine, die zweite Landessprecherin und Mitglied der Bundesleitung der neonazistischen NDP und ab 1983 Aktivistin der NDP-Abspaltung Österreichische Bürgerpartei war, überhaupt an die Öffentlichkeit?

Weil sie sicher sein kann, dass eh alle vergessen und verdrängen wie sie selbst? Weil man in Vorarlberg zum Bagatellisieren rechtsextremer Aktivitäten neigt?

"Es wird auffliegen"

Eigentlich hätte sie gedacht, ihr Anliegen, Pensionen für alte Mütter, interessiere niemanden, sagt Burtscher im Telefongespräch mit dem STANDARD. "Als dann nach der ersten Demo in Bregenz der Medienrummel losgegangen ist, war ich mir zu 99,9 Prozent sicher, dass es auffliegen wird." Mit "es" ist ihre Tätigkeit für die NDP gemeint. Es war ihr klar, dass sie dann den Job verlieren werde, sagt Burtscher, "aber ich habe mich geopfert". Hat sie ihre Mitstreiterinnen der "Oma-Revolte" über ihre Zeit bei der NDP informiert? "Nein, das hätte denen ja Angst gemacht, sie hätten sich dann zurückgezogen."

Jetzt ist sie aufgebracht über die "Hexenjagd" gegen sie, sieht sich und ihre "Oma-Revolte" als Opfer politischen Kalküls. Bewusst sei ihre Vergangenheit am 1. September, dem Tag der Demo, veröffentlicht worden. "Damit die Oma-Revolte in die Hose geht." Die Parteien benutzten nun ihre Person, "damit sie den alten Frauen keine Pension zahlen müssen", ist sie überzeugt.

"Lassen Sie mich in Ruhe"

Über ihre Tätigkeit für die neonazistische NDP will sie nicht reden. "Lassen Sie mich in Ruhe mit dieser Zeit." An revisionistische Texte – einen über "Badehäusermorde", gewidmet den Holocaustleugnern "Herrn Prof. Faurisson und Herrn Major Lachout", hatte sie 1990 an das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes gesandt – mag sich Burtscher nicht erinnern. Aus Sicht des Historikers Werner Bundschuh, Obmann der Johann-August-Malin-Gesellschaft, "eine Unverfrorenheit, dass jemand, der sich an die Spitze einer Bewegung stellt, der Öffentlichkeit weismachen will, sich nicht erinnern zu können".

Vom STANDARD bei der Demo am Wiener Heldenplatz nach ihrer heutigen Position zum Holocaust befragt, antwortete Burtscher "schwammig", wie Bundschuh kritisiert. Sie habe eine "Halbdistanzierung" formuliert, die ihn an Gepflogenheiten der rechtsextremen Szene erinnere. Fünf Tage später antwortet sie in einem Telefongespräch mit dem STANDARD auf die Frage nach einer klaren Distanzierung mit einer Gegenfrage: "Ja, soll ich mich von allem Bösen in dieser Welt distanzieren?" Sie sei 1943 geboren und "will von dieser Zeit nichts hören".

Ihre Tätigkeit für die NDP und Norbert Burger war völlig legal, argumentiert Burtscher. "Die Frau ist Juristin, die weiß genau, was sie sagt und was sie nicht sagt", kommentiert Werner Bundschuh. "1982, als Burtscher dabei war, war die NDP ja noch nicht verboten."

"Alles war legal"

Sie habe nie eine Anzeige bekommen, sei nie verurteilt worden, rechtfertigt sich Burtscher. Sie sei dumm und naiv gewesen, habe geglaubt, einer, der die nötigen Unterstützungserklärungen für eine Präsidentschaftskandidatur bekomme, sei unbescholten. Burger war bereits 1970 in Italien wegen terroristischer Aktivitäten in Südtirol zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Ein Faktum, das allgemein bekannt war. Auch in Vorarlberg.

Vorarlberg war damals NDP-Hochburg. Parteichef Burger kam 1980 bei der Bundespräsidentenwahl in Vorarlberg auf über vier Prozent der Stimmen, bundesweit auf drei Prozent. Schlagzeilen machte die rechtsextreme Partei mit gewalttätigen Übergriffen auf politische Gegner. Nachzulesen in Franz Valandro "Rechtsextremismus in Vorarlberg nach 1945".

Sie habe sich der NDP angeschlossen, weil diese Partei die einzige sei, die sich ohne Wenn und Aber gegen die Fristenlösung ausspreche, schrieb sie als Gertraud Orlich in der NDP-Publikation "Klartext". Sie habe sieben Kinder bekommen, weil sie "so kindernarrisch war", sagte sie als Gertraud Burtscher bei ihren Pensionsdemos.

1983, als sie von der NDP zur Österreichischen Bürgerpartei, einer Abspaltung der NDP, wechselte, klang das anders: "Ich kandidiere für die ÖBP, weil ich nicht mehr mit ansehen kann, wie in Österreich der eigene ungeborene Nachwuchs getötet wird und die fehlenden Arbeitskräfte dann ganz einfach durch Ausländer ersetzt werden. Dies kommt zweifellos einem Selbstmord unserer Heimat gleich."

Als Kämpferin für bessere Frauenpensionen betonte Burtscher ihre Überparteilichkeit. Nun will sie sich wieder aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Und das ist gut so. (Jutta Berger, 7.9.2017)