Eisenstadt – Etablierte Dinge werden entweder optimiert oder von einer Revolution hinweggefegt. Die Monarchie der Habsburger wurde 1918 zu Grabe getragen und in eine Republik überführt, der Adelsstand abgeschafft. In Eisenstadt bemüht sich die Rechtsnachfolgerin des einst ortsansässigen Fürstenhauses, die Esterházy-Stiftung, um die kulturelle Speisung der Stadt und hat zu diesem Zweck ein elftägiges Musikfestival ins Leben gerufen.

Herbstgold – erinnert der Name mehr an eine Haartönung oder an ein Comeback-Album von Howard Carpendale? – wird von Andreas Richter programmiert. Die musikalischen Dinge drehen sich vorrangig um Joseph Haydn, es gibt aber auch "Balkan- und Roma-Sounds" und Jazz zu hören. Das Motto der Herbstgold-Erstausgabe: "Revolutionen".

Auch auf dem konservativ veranlagten Gebiet der Klassik haben sich in den letzten Jahrzehnten Optimierungen von fast revolutionärem Ausmaß ereignet. Den Anstoß dazu machte die Originalklangbewegung: Wo einst Zuckerguss und behäbige Klangmacht regierten, beherrscht nun eine Allianz aus jugendlicher Slim-Fit-Dynamik und theatralischer Drastik die Interpretationsverhältnisse.

Klingende Demokratie

Auch Nicolas Altstaedt und die Haydn-Philharmonie wandeln hörbar auf den Spuren von Teodor Currentzis und MusicAeterna, der angesagten Traumpaarung auf diesem Terrain: Die Musiker spielen (abgesehen von der Cellogruppe) stehend und hyperagil sowie auf modernen Instrumenten (abgesehen vom Blech).

Beim Eröffnungskonzert im Haydnsaal am Mittwochabend hört man – bei Haydns G-Dur-Symphonie Hob. I:88 und Beethovens Erster – eine Mischung aus Feuer und Finesse und erlebt die Freuden eines individuellen, gleichberechtigten, dialogoffenen Musizierens mit: Schöner hat Demokratie kaum je geklungen. Nur beim Schnelldurchlauf des Finalsatzes der Beethoven-Symphonie geht leider jedes Musiksprachverständnis flöten.

Als Orchesterleiter hüpft Altstaedt derwischartig hin und her und hat sogar den stechenden Blick von Nikolaus Harnoncourt im Repertoire. Auch das Wagnis des Abends, die gleichzeitige Interpretation von Schostakowitschs erstem Cellokonzert als Solist und als Dirigent, besteht der künstlerische Leiter des Orchesters (und des Kammermusikfestivals Lockenhaus) bravourös. Der Mittdreißiger brilliert vor allem in der Cadenza und den intimen Passagen, zur Verdeutlichung der Panik und der bohrenden Verzweiflung im Kopfsatz hätte man sich etwas mehr Härte und solistische Durchschlagskraft gewünscht.

Wie immer fesselt Altstaedt auch als ein optisch-musikalisches Gesamtkunstwerk: Braune Lockenpracht umrahmt ein ebenmäßiges Antlitz, das man von Caravaggio gemalt haben möchte. Begeisterung in Eisenstadt wohl auch dafür. (Stefan Ender, 7.9.2017)