Österreich will sich etwa mit Gebirgsjägerausbildung in eine künftige Verteidigungsunion einbringen.

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Die EU habe in diesem Jahr bei einer Sicherheits- und Militärkooperation in Form der sogenannten Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (Pesco) große Fortschritte gemacht. Es habe dabei "Quantensprünge" gegeben, sagte die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am Donnerstag in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Dort berieten sie und ihre Ressortkollegen sich gemeinsam mit den EU-Außenministern über die nächsten Schritte zur Schaffung einer EU-Verteidigungsunion, wie sie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Frühjahr vorgeschlagen hatte. Die Staats- und Regierungschefs haben das beim EU-Gipfel im Juni im Prinzip bestätigt.

Von der Leyen zeigte sich überzeugt davon, dass die Union das Projekt, das mit der Einrichtung eines "Hauptquartiers" in Brüssel zur Steuerung und der Schaffung eines Fonds für Rüstungsentwicklung beginnen soll, bis Jahresende konkret auf den Weg bringen wird.

Bis Mitte November müssen die EU-Mitgliedstaaten entscheiden, in welcher Form sie sich in diese Militärzusammenarbeit einbringen wollen. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) sagte den Partnern die Teilnahme Österreichs zu. Er hat dazu mit Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) bereits Einvernehmen erzielt. Einen formellen Beschluss soll der Ministerrat laut Doskozil ungeachtet der Wahlen im Oktober noch rechtzeitig fassen.

Neutralität "nicht betroffen"

Rund zwanzig EU-Staaten – die meisten davon auch Nato-Mitglieder – haben bisher die Partizipation an der EU-Militärunion signalisiert. Die Neutralität Österreichs sei davon in keiner Weise betroffen oder hinderlich, erklärte Doskozil. "Wir werden uns auf jeden Fall beteiligen. Bei dieser Kooperation geht es darum, dass jeder seine besonderen militärischen Fähigkeiten einbringt, wie wir zum Beispiel mit den Gebirgsjägern", so der Verteidigungsminister. Die Staaten entscheiden selbst, was sie tun oder nicht. Damit verbunden ist auch die Möglichkeit, Technologieunternehmen in Projekte einer gemeinsamen Rüstungsbeschaffung einzubringen. Diesbezüglich gebe es für Österreich "einige gute Möglichkeiten", sagte Doskozil.

In Tallinn stand bei den Beratungen der Verteidigungsminister die Bekämpfung von Cyberattacken gegen Staaten erstmals auf der Tagesordnung. Sie absolvierten dazu ein Planspiel. Sicherheitspolitik in Zusammenhang mit der Migrationskrise kam dann bei einem gemeinsamen Arbeitsessen mit den Außenministern zur Sprache. Doskozil kritisierte, dass es keine Fortschritte bei den Plänen zum Aufbau von Verfahrenszentren in Afrika gebe, in denen in Zukunft gemäß der jüngsten Pariser Migrationskonferenz Asylverfahren stattfinden sollen.

Heißes Eisen Türkei

Bei den EU-Außenministern standen die Konfrontation mit der Türkei und ein möglicher Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen im Fokus. Mit der Änderung der Haltung der SPD, nachdem Kanzlerkandidat Martin Schulz unter Zustimmung von Kanzlerin Angela Merkel das Aus für den EU-Beitritt gefordert hat, zeichnet sich noch kein Kurswechsel auf EU-Ebene ab. Estlands Außenminister Sven Mikser sagte als EU-Ratsvorsitzender, er erwarte bis Jahresende keinen Beschluss.

Die meisten Minister äußerten sich vorsichtig. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel wies den Eindruck einer "Kehrtwende" in Berlin zurück. Vielmehr habe sich Erdoğan "in rasender Geschwindigkeit" von der EU entfernt, Schulz nur "die Realität beschrieben". Außenminister Kurz zeigte sich vom "Schwenk in Deutschland" erfreut. Er hofft auf eine Entscheidung der Regierungschefs zu Verhandlungsabbruch und Stopp der Vorbeitrittshilfen von 4,4 Milliarden Euro "noch im Oktober". (Thomas Mayer aus Tallinn, 7.9.2017)