Damit man beim Besuch gleich sieht, was da am Ende rauskommt, steht im Werk Wreschen ein Crafter im Foyer.

Foto: Andreas Stockinger

Im Karosseriebau werkeln um die 500 Roboter, da wird (laser-)geschweißt, geklebt, gefalzt, was das Zeug hält.

Foto: Volkswagen

Bei Vollauslastung fährt man drei Schichten, 3000 Mitarbeiter sind dann am Werk. Links hinten warten noch große Erweiterungsflächen.

Foto: Volkswagen

Wreschen – "Benzin verdirbt den Charakter." Das Wort stammt von Generalfeldmarschall und Reichspräsident Paul von Hindenburg, und es klingt, als hätte er Zündstoff vorbereitet für die Argumentik der jetztzeitigen Verächter motorisierter individueller Mobilität. Wir erwähnen das nur, weil der berühmte Mann 1847 in Posen zur Welt kam, vor 170 Jahren, im damaligen Osten des Deutschen Kaiserreiches. Und weil der deutsche VW-Konzern dort und in der Umgebung einen guten Teil seiner Aktivitäten hinsichtlich leichter Nutzfahrzeuge konzentriert – Hannover wäre der andere.

VW Crafter

In Posen selbst, quasi beim Hindenburg ums Eck, wird exklusiv der Caddy hergestellt, kleiner Racheakt an dem vorlauten Herrn vielleicht. Noch spannender ist indes, was 50 km weiter östlich, nahe Wreschen (Wrzesnia), passiert. Dort baut VWN (VW Nutzfahrzeuge) den Crafter. Sprinter, werden Sie reflexartig sagen. Falsch. Der Crafter als Mercedes-Sprinter-Derivat, das war einmal.

In der Kooperation mit Daimler hat man nur Erfahrungen mit dieser Kategorie von Liefervielzweckwagen gesammelt. Aber das war ungefähr wie zu Kaisers Zeiten, als der Mann verdiente und gnä' Frau davon abhängig war, was der Gemahl springen ließ. Mit anderen Worten, VW war bei den Stückzahlen stets auf den guten Willen der Sternträger angewiesen, maximal 50.000 Stück jährlich waren ausgemacht, etliche Märkte blieben zudem für VW gesperrt.

All das ist seit Oktober 2016 Geschichte. In Rekordzeit – 23 Monate von Grundstein bis Produktionsstart – wurde die Crafter-Fabrik hochgezogen, die modernste ihrer Art in Europa, die 800 Millionen Euro waren zugleich die bisher höchste Auslandsinvestition in Polen. Seitdem entstehen auf einst grünen Wiesen weiße Riesen; weiß, weil das die meistbegehrte Nutzfahrzeugfarbe ist.

Ehrgeizige Pläne

Die Polen seien VW entgegengekommen mit der Widmung des Areals als Sonderwirtschaftszone, erläuterte Produktionsleiter Frank Schemmel im Gespräch nach dem Werksrundgang. Von den 220 Hektar wird erst die Hälfte genutzt, man kann sich ausrechnen, dass der Konzern hier noch ehrgeizige Nutzfahrzeugpläne hat.

Von den 380.000 m² bebauter Fläche beansprucht die Montage mit 107.000 m² den größten Anteil, gefolgt von Karosseriebau (92.800 m²), Lackiererei (70.420 m²), Lieferantenpark (34.560 m²) und Sonderwagenbau (13.493 m²) – dort entstehen Sonderanfertigungen für Polizei, Militär und Krankenwagen.

Roboterfabrik

Fast gespenstisch wirkt der Karosseriebau, der Automatisierungsgrad liegt bei 70 Prozent, über 500 Roboter sind am Basteln, es wird (lasert-)geschweißt, geklebt, gefalzt, was das Zeug hält, aus unzähligen Einzelteilen entstehen fertige Rohkarossen. Anschließend geht's in die Lackiererei, auch die hochmodern mit einigen patentierten Innovationen, im Schnitt verbringt eine Karosserie 15 Stunden da drin. Zugeliefert werden die Pressteile übrigens vom spanischen Spezialisten Gestamp, der sich in vier Kilometern Entfernung angesiedelt hat.

Gut, und wann kommt dann der Mensch ins Spiel? Genau jetzt. In der Montagehalle. Der Bereich ist nur zu drei Prozent automatisiert, das kann der Mensch besser, billiger. Die einzelnen Stationen zeigen Teams mit unterschiedlichem Temperament, an einer geht's richtig lustig zu, mit Musik in Discolautstärke; das tue aber der Leistung keinen Abbruch, hieß es.

Demnächst Volllast

Derzeit herrscht Zweischichtbetrieb. Heuer noch fährt man auf Vollauslastung hoch, auf drei Schichten. Dann beschäftigt Wreschen 3000 Mitarbeiter, 620 davon in der Administration. Das und die daraus resultierende Kaufkraft, so Schemmel weiter, belebe inzwischen ganz Wreschen, die Kleinstadt blüht richtig auf.

Der Crafter ist übrigens die erste Baureihe auf dem Modularen Nutzfahrzeugbaukasten (MNB) von VW, ab Mai kommenden Jahres sollen dann alle geplanten 18 Versionen verfügbar sein, der längste Lulatsch misst 7,39 Meter, viel Spaß beim Parken.

Auf eine Jahresproduktion von zunächst 100.000 Fahrzeuge ist das Werk ausgelegt, fünf Prozent davon sind dem baugleichen MAN TGE zugestanden. Zum Vergleich: Mercedes verkaufte im Vorjahr 193.363 Sprinter global.

E-Crafter

Eine Frage ist noch nicht endgültig entschieden, die nach dem E-Crafter nämlich. Die Elektroversion mit Reichweiten von 120 bis 300 km, je nach Nutzungsprofil, startet heuer noch und wird zunächst in Hannover endmontiert – die Karosserien liefert allerdings Wreschen zu. In der Langfristperspektive rechnet man sich gute Chancen aus, dass der E-Crafter auch hier gebaut werden könnte.

Spannende Zeiten also, und es tut sich was. Und wie sagte Hindenburg nochmal? Vergesst nie, dass auch euer Tun einmal Tradition wird. (Andreas Stockinger, 8.9.2017)