Die wenigen Berichte aus Lagern in Libyen, die für die europäische Politik offenbar die einzig gangbare Alternative zur Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten sind, drehen einem den Magen um. "Fabriken des Leidens auf industriellem Niveau" nennt sie die Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen, Joanne Liu: Die EU dürfe sich nicht zur Komplizin dieses Verbrechens machen.

Sie spricht in ein Vakuum. Das Leiden der beklagenswerten Rohingya in Myanmar scheint im Moment mehr Emotionen hervorzurufen als die gequälten Menschen vor unserer Haustür. Die sind ja auch selbst schuld, wären sie doch zu Hause geblieben. Wenn genug von ihnen gescheitert sind – oft durch ihren Tod –, werden keine mehr kommen.

Es gibt keine einfachen Antworten, vielleicht gibt es gar keine. Die Migrationskrise hat Europa bereits verändert, von außen und von innen, und eines Tages wird man aus historischer Sicht Bilanz ziehen. Aber es wäre nützlich für jene, die dazu willens und fähig sind – auch für wahlkämpfende Politiker –, die Fakten zu verstehen und in ihr Denken aufzunehmen. Es gibt keine Lösungen, die nicht wieder andere Entwicklungen in Gang setzen, deren vielleicht unerwünschte Ergebnisse ebenfalls nicht spurlos an uns vorbeigehen werden.

Für das Verständnis wäre es etwa wichtig zu begreifen, dass wir es mit einer internationalen Kriminalität unerhörten Ausmaßes zu tun haben, mit verbrecherischen Netzwerken, die die alten Mafias harmlos aussehen lassen. Das heißt: Es gibt viele Nutznießer, viele verdienen daran, das ist internationales Business und nicht das von ein paar Wilden in Afrika. Diese verbale Zuspitzung sei angesichts der weitverbreiteten europäischen Verachtung erlaubt, sie reflektiert Wahrnehmungen.

Die kriminellen Netzwerke werden, wenn eine Route geschlossen ist, eine andere öffnen, wenn eine Methode überholt ist, eine andere finden. Viel diskutiert wird darüber, dass die EU auf die "falschen" Kräfte in Libyen setzt. Damit ist meist die international anerkannte und von der Uno in langen Verhandlungen aufgestellte Regierung gemeint, die tatsächlich schwach ist und sich teilweise auf Kräfte stützt, die gar nicht daran denken, ein staatliches Gewaltmonopol zu akzeptieren. Ist die Antwort, sich auf andere, nicht legitimierte Kräfte stützen zu wollen? Vielleicht nützt es uns im Moment. Aber es wird ein neuer Preis zu zahlen sein, in Libyen, aber letztlich auch von uns. (Gudrun Harrer, 8.9.2017)