Polizisten müssen die Studiengänge absolvieren, um aufsteigen zu können – angeblich soll das Innenministerium mitentscheiden, wer studieren darf

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Zwei Polizisten bewerben sich für denselben Führungsposten: Einer hat einen Hochschulabschluss im Fach Polizeiliche Führung, der andere nicht. Die Entscheidung ist also klar: Der besser Qualifizierte bekommt den Posten. Mit Parteibuchwirtschaft hat das auf den ersten Blick nichts zu tun, im Gegenteil. Die Leistung, studiert zu haben, wird mit einem beruflichen Aufstieg belohnt. Doch was ist, wenn die Förderung von ÖVP-nahen Polizisten schon einen Schritt früher beginnt – und das Innenministerium nicht kontrolliert, wer dank Qualifikationen aufsteigt, sondern zuvor beeinflusst, wer diese Qualifikationen überhaupt erhält?

Es sind schwere Vorwürfe, die in Gesprächen mit dem STANDARD unabhängig voneinander von Polizisten, Studienabsolventen, Mitarbeitern des Innenministeriums und ehemaligen Mitarbeitern der FH Wiener Neustadt geäußert werden. Sie alle wollen anonym bleiben, da ihnen bei öffentlichen Äußerungen berufliche Konsequenzen drohen. Öffentlich spricht sich nur die rote Polizeigewerkschaft gegen das angebliche System aus. Aber es gibt genug öffentliche Hinweise, um die These von der Förderung ÖVP-naher Polizisten zu unterstützen.

Grundlage für Offizierslaufbahn

Schlüsselstücke dieses angeblichen Schemas sind zwei Studiengänge, die das Innenministerium ab 2006 mit der FH Wiener Neustadt aufgebaut hat. Die Polizeiausbildung sollte damit auf akademische Beine gestellt werden. Das Bachelorstudium "Polizeiliche Führung" bildet "die Grundlage für die E1-/Offizierslaufbahn", heißt es auf der Webseite des Studienganges. Bei dieser Verwendungsgruppe handelt es sich um "leitende Beamte". Polizisten, die dieses Studium nicht absolviert haben, haben keine Chance, in diese Verwendungsgruppe zu gelangen.

Die Polizisten werden in sechs Semestern zum Bachelor ausgebildet. Dabei werden sie etwa in Fächern wie Recht, Wirtschaft oder Führung gelehrt. An der FH sind sieben Mitarbeiter des Innenministeriums angestellt, die etwa Lehrveranstaltungen abhalten. Das ist naheliegend: Die Praxis bei der österreichischen Polizei kann den Studenten wohl am besten von Polizisten übermittelt werden.

Studiengangleiter aus Innenministerium

Doch auch die Führungsebene des Studiengangs entstammt dem Innenministerium. Der Bachelorstudiengang wird von Michael Fischer geleitet, der außerdem 40 Stunden pro Woche als stellvertretender Direktor des Bundeskriminalamts tätig ist. Als Fischer 2011 seine Stelle an der FH Wiener Neustadt antrat, war er gerade Kabinettsmitarbeiter der damaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

Künftig entschied also jemand aus dem engsten Kreis von Mikl-Leitner mit, welche Aspiranten die wenigen Studienplätze belegen dürfen. Denn nach schriftlichem Test und körperlichem Assessment-Center folgt ein "Aufnahmegespräch mit der Studiengangleitung", wie es im Folder zum FH-Studiengang heißt. Dort lobt ein ehemaliger Absolvent namens Alexander R. übrigens die Qualität des Studiums. Eine kurze Google-Suche zeigt, dass R. sich beim ÖAAB und der Ortsvertretung der ÖVP in einem oberösterreichischen Ort engagiert.

Bachelor in wenigen Wochen

Der Studiengangleiter kann nicht nur über die Aufnahme von Studenten entscheiden, sondern auch über Einstiege in das laufende Studium. So können etwa jene Polizisten, die schon die alte Offiziersausbildung absolviert haben, noch zu akademischen Ehren kommen. Der Wiener Polizeikommandant Karl Mahrer – bei der kommenden Nationalratswahl Listenerster der ÖVP Wien – konnte so laut einem Profil-Bericht in "acht Wochen" zum Bachelor gelangen.

Mehrere Polizisten berichten dem STANDARD davon, dass sie seit mehreren Jahren darauf warten, einen Platz in den Studiengängen zu bekommen. Überprüfen lassen sich die Vorwürfe kaum – denn die Parteizugehörigkeit wird bei einer Aufnahme an die FH natürlich nicht statistisch erfasst. "Wir sehen klar, dass bei den Studiengängen eine Bevorzugung ÖVP-naher Polizisten passiert", sagt der rote Polizeigewerkschafter Harald Segall, Vorsitzender der FSG in der Exekutive Wien. Er berichtet von Fällen, in denen Polizisten jahrelang die Ausbildung verweigert wurde, weil sie kein Naheverhältnis zur ÖVP haben. Aus FPÖ-Kreisen ist zu hören, dass sich Polizisten nicht als freiheitlich deklarieren wollen, um ihre Aufstiegschancen nicht zu gefährden.

Vorwürfe "nicht bekannt"

Michael Fischer gibt auf Anfrage des STANDARD an, dass ihm derartige Vorwürfe "nicht bekannt" seien. Die Auswahl der Studienteilnehmer erfolge laut Fischer "in einem mehrtägigen, umfangreichen, größtenteils anonymisierten Auswahlverfahren", das von einem "eigens dafür eingesetzten Assessorenteam" durchgeführt werde. Laut FH stünden die Studiengänge "allen offen, die die Zugangsvoraussetzungen erfüllen". In der Auswahlkommission seien "neben Experten des BMI auch FH-Mitarbeiter und externe Lektoren" vertreten.

Als der STANDARD berichtete, dass zwei Spitzenbeamte des Innenministeriums neben ihrem 40-Stunden-Job im Bundeskriminalamt auch Studiengangleiter an der FH sind, gab das Innenministerium an, dass deren Bestellung "autonom" von der Fachhochschule getätigt wurde. Die FH sprach nur davon, dass derartige Leitungspositionen "ausgeschrieben" würden. Nach neuerlichen Nachfragen des STANDARD räumt die FH nun ein: "Die Bestellung des Studiengangsleiters für BA Polizeiliche Führung erfolgte auf Vorschlag des BMI und wurde von den zuständigen Gremien der FH Wiener Neustadt genehmigt".

Das Innenministerium hat auf die Fragen des STANDARD trotz mehrfacher Anfragen und Telefonate binnen einer Woche keine Antworten geliefert.

AQ Austria will prüfen

Das wirft auch Fragen nach der wissenschaftlichen Integrität der Fachhochschule auf. AQ Austria, die Agentur für Qualität und Akkreditierung Austria, kündigt im Gespräch mit dem STANDARD an, die Akkreditierung für die beiden Kurse an der FH Wiener Neustadt zu prüfen. Zuvor hatte bereits der Rechnungshof ein Auge auf die beiden Studiengänge geworfen. Er berichtete, dass die interne Revision des Innenministeriums festgestellt hat, das Innenministerium fördere sich durch Förderungen an die FH selbst.

"Die formellen Unabhängigkeit – also die Freiheit von Lehre und Forschung – ist tatsächlich eine faktische Abhängigkeit, da die zentralen Stellen an der FH mit BMI-Leuten besetzt sind und es keine unabhängige Rekrutierung gibt, die den Kriterien einer Hochschule entsprechen", sagt der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl im Gespräch mit dem STANDARD. (Fabian Schmid, 10.9.2017)