Das neunseitige handschriftliche Protokoll von der letzten Hinrichtung in Frankreich im Jahr 1977 ist erst jüngst publik geworden. (Das Bild zeigt einen Ausschnitt einer Guillotine aus dem Jahre 1793 in den Salles des Ventes in Nantes.)

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Paris – Die Untersuchungsrichterin Monique Mabelly war alles andere als begeistert, als sie den Auftrag erhielt, die Hinrichtung des Mörders Hamida Djandoubi zu überwachen und darüber einen Bericht zu schreiben. Das neunseitige handschriftliche Protokoll von jenem 10. September 1977 ist erst jüngst publik geworden. Es zeugt von der Malaise, welche die Frage der Todesstrafe in Frankreich bis heute bewirkt.

Es ist 4.40 Uhr, als der Verurteilte im Marseiller Gefängnis Baumettes geweckt wird. In den Gängen haben die Wächter Tücher ausgelegt, um die Schritte zu dämpfen. "Niemand spricht. Das Schweigen und die offensichtliche Folgsamkeit des Verurteilten beruhigen die Anwesenden."

Minderjährige gefoltert und erwürgt

Djandoubi, ein 28-jähriger Landarbeiter, der eine Minderjährige zur Prostitution gezwungen, gefoltert und erwürgt hatte, trägt Handschellen und wird an einen Tisch gesetzt. Dort steckt man ihm eine Zigarette in den Mund, auf die er nach französischem Gewohnheitsrecht Anspruch hat.

An einem Bein trägt er seit einem Arbeitsunfall eine Prothese. Die Amputation habe ihn psychisch völlig aus der Bahn geworfen, hatten seine Anwälte während der Verhandlung argumentiert – allerdings erfolglos, wurde Djandoubi doch von den Geschworenen einstimmig zur Höchststrafe verurteilt.

"Sein Gesicht ist recht hübsch, auch wenn er sehr bleich ist und Augenringe hat", schreibt Mabelly. Der Tunesier erhält eine zweite Zigarette. Jetzt ändert sich etwas: "Ich sehe, dass er wirklich zu realisieren beginnt, dass es zu Ende geht, dass sein Leben nur noch diese Zigarettenlänge dauern wird."

Zigaretten und Rum

Nun bringt ein Gefängniswärter noch eine Flasche Rum und bietet dem Verurteilten ein halb volles Glas an. "Er trinkt langsam, mit kleinen Schlucken. Als letzten Verzögerungsversuch bittet er um eine filterlose Zigarette, eine Gauloise oder eine Gitanes." Doch jetzt hat der Henker genug: "Wir waren schon sehr nett mit ihm, sehr menschlich – jetzt müssen wir abschließen."

Dem Verurteilten werden die Hände wieder gebunden, sein Hemdkragen wird abgeschnitten. Eine Türe öffnet sich. Dahinter steht die "Maschine", wie die zunehmend aufgebrachte Richterin feststellt. Sehr rasch wird der zum Tode Verurteilte auf die Guillotine gelegt, ja fast geworfen, und das Fallbeil wird aktiviert. "Ich höre ein dumpfes Geräusch", schreibt die Frau, die sich abgewandt hat, um später zu notieren, da sei "Blut, viel Blut, sehr rotes Blut".

Die Hinrichtung war die bisher letzte in Frankreich. Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing verwandelte noch drei Todesurteile in lebenslange Haftstrafen. Bei Djandoubi lehnte er jeden Gnadenakt ab. Die öffentliche Meinung, die sich während des Prozesses noch zu 61 Prozent für die Todesstrafe ausgesprochen hatte, begann nicht zuletzt wegen der Exekutionsberichte zu schwanken. 1981 wurde die Guillotine eingemottet, als François Mitterrand Präsident wurde.

Debatte bis heute

Die Debatte geht bis heute weiter. Giscard d'Estaing (91) erklärte 2010, er bedaure nicht, Gnadenakte verweigert zu haben. Er hätte die Todesstrafe zur Abschreckung bei Kindsmördern "wahrscheinlich" beibehalten, wenn er die Wiederwahl geschafft hätte.

In Umfragen ist die Zustimmungsrate für die Todesstrafe zeitweise auf unter 50 Prozent gesunken. Heute spricht sich wieder eine knappe Mehrheit für die Wiedereinführung bei Terroranschlägen oder anderen Taten aus. Politisch hat sie indessen keine Chance. Auch die Rechtsextremistin Marine Le Pen verzichtete im Präsidentschaftswahlkampf 2017 auf ihre ursprüngliche Forderung und verlangt nur noch eine "wirklich lebenslange" Inhaftierung. (Stefan Brändle aus Paris, 10.9.2017)