Sebastian Kurz hat jüngst laut über eine Minderheitsregierung nachgedacht. Diese Regierungsform ist international betrachtet keineswegs eine Seltenheit. Seit 1945 verfügte etwa jedes dritte Kabinett in Europa nicht über eine parlamentarische Mehrheit.

In Österreich war bisher das Kabinett Kreisky I (1970 bis 1971) die einzige Minderheitsregierung. Damit ist Österreich gemeinsam mit Deutschland, Luxemburg, Belgien und Großbritannien in jener Ländergruppe, wo solche Regierungstypen selten bis nie auftreten. In Skandinavien und Spanien sind sie hingegen eher die Regel als die Ausnahme.

Auf den ersten Blick erscheint es verwunderlich, dass es Minderheitsregierungen überhaupt gibt. Eine Regierung ohne Mehrheit im Parlament läuft permanent Gefahr, per Misstrauensvotum abgesetzt zu werden. Damit das nicht passiert, muss zumindest ein Teil der Opposition einen größeren Nutzen im Verbleib als im Sturz der Regierung sehen – und das, obwohl man selbst dieser Regierung nicht angehört.

In der Politikwissenschaft geht man davon aus, dass Parteien nach drei Dingen streben: Stimmen (votes), Ämtern (office) und dem Umsetzen ihres Programms (policy) – wobei die Gewichtung stark variieren kann. Im Idealfall maximiert man Stimmengewinne wie Regierungsposten und setzt sein Programm zur Gänze um.

Heinz Fischer (li.) und Bruno Kreisky im Zug auf einer Wahlkampfreise Richtung Westen, circa 1970. Zu dieser Zeit war Fischer Sekretär des SPÖ-Parlamentsklubs, Kreisky Parteichef – und kurz vor der Bildung einer Minderheitsregierung.
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Eine Minderheitsregierung zu tolerieren bedeutet nichts anderes, als für sich selbst auf (die Chance auf) Regierungsämter zu verzichten. Diesen "Kosten" muss also ein ähnlich hoher "Nutzen" in den Bereichen Stimmen (etwa besseres erwartetes Abschneiden bei der nächsten Wahl) oder Inhalte (etwa durch Arbeitsübereinkommen in Teilbereichen) gegenüberstehen.

Nun sind aber gerade die (größeren) Parteien in Österreich bekannt für ihre Bereitschaft, vieles an Stimmenverlusten und inhaltlichen Kompromissen hinzunehmen, wenn dadurch nur ein Platz auf der Regierungsbank gesichert ist. Ganz nach dem Motto, das Hans Niessl jüngst ausgegeben hat: "Opposition ist Mist."

Dann wird es wohl nichts mit einer Minderheitsregierung. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 11.9.2017)