Vollbremsung auf Schotter – das E-Bike bleibt dank ABS stabil.

Foto: Bosch

Funktion vor Schönheit: Das ABS wird derzeit am Vorbau und unter dem Lenker (Steuerungseinheit) angebracht.

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Innsbruck – Mit dem Trend zum E-Bike steigt auch die Zahl der Unfälle mit selbigem. Eine Gefahrensituation für viele E-Bike-Nutzer ist das Bremsen. Denn oft geht mit dem Umstieg auf das elektrische Rad auch der Umstieg von Felgen- auf Scheibenbremsen einher. Und die reagieren ungleich direkter auf den Zug am Bremshebel. Der klassische Sturz über den Lenker ist nicht selten die Folge. Die Industrie hat darauf reagiert: E-Bike-Motorenproduzent Bosch bringt nun in Zusammenarbeit mit dem Bremsenhersteller Magura das weltweit erste serienreife Antiblockiersystem (ABS) für Pedelecs auf den Markt.

ABS am Vorderrad, Abheberegelung am Hinterrad

Das System wiegt insgesamt rund 800 Gramm und wird vom Akku des Pedelecs mit Strom versorgt. Die Wirkung des ABS beschränkt sich auf das Vorderrad. Es sorgt dafür, dass dieses beim Bremsen nicht blockiert und somit die Fahrstabilität und Lenkbarkeit erhalten bleiben. Beim sogenannten Panikbremsen, wenn also beide Bremshebel voll angezogen werden, verringert das System elektronisch gesteuert den Bremsdruck am Vorderrad, sodass es nicht blockiert. Wie beim Auto bremst das Pedelec dann in Intervallen, bis es zum Stillstand kommt.

Die Prüfgesellschaft Dekra hat das ABS für E-Bikes bereits kritisch unter die Lupe genommen.
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Am Hinterrad funktioniert die Bremse wie gehabt. Allerdings kommt dort ein Sensor zum Einsatz, der erkennt, wann der Hinterbau wegen zu starken Abbremsens vom Boden abhebt, sprich ein Überschlag droht. Ist das der Fall, greift das ABS in die Vorderbremse ein und verringert dort die Bremsleistung derart, dass das Hinterrad sofort wieder zu Boden sinkt. Gerade auf griffigem Untergrund und bei Gefälle sollen dadurch Überschläge, die schwere Verletzungen zur Folge haben können, verhindert werden.

Ein Viertel aller Unfälle laut Hersteller vermeidbar

Hersteller Bosch hat in Deutschland im Vorfeld der Markteinführung zwei Studien bezüglich des Themas angestellt. Einmal wurden 500 Fahrradunfälle untersucht. Mit dem Ergebnis, dass bei jedem fünften untersuchten Unfall der Sturz schon vor der eigentlichen Kollision passiert ist. In einer weiteren Studie analysierte das Team 5.400 Fahrradkollisionen und -stürze. Fazit der Studie: Jeder vierte Pedelec-Unfall wäre mit ABS vermeidbar.

Diesen Herbst wird Bosch das neue ABS vorerst in Kooperation mit ausgewählten Flottenpartnern anbieten, also Herstellern, Vermietern oder auch Tourismusregionen, die E-Bikes vermieten. Vorerst wird es bei City- und Trekkingbikes mit 28-Zoll-Bereifung zum Einsatz kommen. Ab Herbst 2018 soll das System im Handel erhältlich sein – allerdings im Modelljahr 2018/19 nur in Verbindung mit Magura-Bremsen.

Noch kein Einsatz auf E-Mountainbikes

Man habe seit 2012 an der Entwicklung des ABS für E-Bikes gearbeitet, sagt der Geschäftsleiter der hauseigenen E-Bike-Sparte, Claus Fleischer. Bis zum Einsatz von ABS in E-Mountainbikes werde es aber noch dauern: "Das E-Mountainbike hat eine andere Zielgruppe. Die ist ja sehr sportlich und enthusiastisch. Und in der Regel sind Sportler eher skeptisch gegenüber elektronischen Hilfen."

Neben diesem "psychologischen Aspekt" nennt Fleischer auch einen technischen. Ein 28-Zoll-Touringrad habe weniger dynamische Bewegungen des Schwerpunkts als ein vollgefedertes Mountainbike: "Der Fahrer ist – anders als beim Auto – relevant für das Gesamtgewicht. Und das muss man beim ABS-Algorithmus berücksichtigen."

In Österreich sind derzeit rund 400.000 E-Bikes im Einsatz, sagt Christian Gratzer vom Verkehrsclub. Er denkt, das Antiblockiersystem könnte helfen, Unfälle zu vermeiden. Wobei Gratzer grundsätzlich dafür eintritt, dass Kunden, die E-Bikes kaufen, auch bezüglich der Fahrtechnik beraten werden. Vor allem ältere Menschen, die dank des E-Bikes wieder auf das Fahrrad steigen, sollten sich vorab mit den Grundlagen der Fahrtechnik vertraut machen. (Steffen Arora, 12.9.2017)