Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy nimmt den Mund ganz schön voll, wenn er verkünden lässt, es werde am 1. Oktober kein illegales Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens geben. Doch er dürfte es wirklich ernst damit meinen, das zeigen die Mittel, die er einzusetzen bereit ist: Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen, Klagsdrohungen. Die spanische Zentralregierung weist, wo sie es nur kann, die Justiz- und Polizeibehörden an, alles zu unternehmen, damit in knapp drei Wochen auch wirklich keine Urnen aufgestellt und keine Stimmzettel ausgefüllt werden können.

Das untergräbt jedes Vertrauen zwischen Madrid und den nach Unabhängigkeit strebenden Katalanen. Auch die mehr oder weniger unverhohlene Drohung, man werde prüfen, ob der Verfassungsartikel 155 zur Anwendung kommen könnte, ist kontraproduktiv. Die Regelung würde es Madrid ermöglichen, die regionale Regierungskompetenz direkt zu sich zu holen, aber auch spanische (statt katalanische) Polizeikräfte und im Ernstfall sogar die Armee in den "rebellischen" Nordosten der Iberischen Halbinsel zu entsenden.

Probleme werden verstärkt

Das Ausreizen solch drastischer juristischer Mittel löst keine politischen Probleme – es verstärkt sie vielmehr. Die katalanische Regierung kann zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr anders, als unverdrossen weiterzumachen. Natürlich wird der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont ausgerechnet jetzt nicht zurückstecken, natürlich wird es zu weiteren Großkundgebungen kommen, natürlich wird das Referendum stattfinden – egal ob flächendeckend oder nicht. Allein die politische Botschaft zählt jetzt, nicht ihre Umsetzbarkeit.

Das Problem ist aber nicht nur eines zwischen Madrid und Barcelona: Es hat eine viel weiter reichende Signalwirkung. So verfolgt man im nahen Baskenland die Entwicklung sehr genau. Und nicht zuletzt wird in Großbritannien durch den Brexit-Prozess wieder sehr deutlich, dass die Frage einer Unabhängigkeit Schottlands noch keineswegs endgültig geklärt ist. Mehr als je zuvor in den vergangenen Jahrzehnten muss die Regierung in Westminster – wer immer sie in den kommenden Jahren anführen wird – befürchten, dass man sich im hohen Norden des Vereinigten Königreichs an der Verve der Katalanen ein Beispiel nehmen könnte. Und natürlich gibt es in Belgien nach wie vor eine offene Baustelle in Bezug auf Flandern und Wallonien.

Gespenst namens Padanien

Und auch in Italien geht immer wieder ein Gespenst namens Padanien um. Wäre es nach der Lega Nord gegangen, wäre jene Fantasieregion am Po-Fluss ebenfalls eine eigene Republik. Doch die bestenfalls abstrusen Konzepte jener Promotoren haben dafür gesorgt, dass dieses Konzept von selbst zur Lachnummer wurde.

Dies kann man von Katalonien zwar nicht behaupten, doch konstruktiv kann man dieses Politikum zwischen Zentrifugalkraft und Trennungsangst nicht einmal ansatzweise nennen.

Auch das erschwert eine halbwegs profunde und in der Realpolitik verankerte Diskussion darüber, wie die Zukunft eines unabhängigen Katalonien aussehen könnte; wie sein Status innerhalb der EU wäre; welche Privilegen verlorengingen; wie die Zukunft des Euro aussehen würde. Dafür müsste es zuerst ein Klima des Respekts, idealerweise auch des Vertrauens geben. Die Gelegenheit dafür ist aber vorerst vertan – für wie lange, kann momentan wohl niemand sagen. (Gianluca Wallisch, 11.9.2017)