Kärnten scheint auf seinen geografischen Mittelpunkt einigermaßen stolz zu sein. Schon von der Abzweigung ins Tal zwischen Wöllaner Nock und Gerlitzen weisen Pfeile den Weg bis hinauf nach Arriach – vom Parkplatz weiter ist der Wanderpfad bestens ausgeschildert. Oben angekommen lädt eine Holzsitzgruppe zum Verweilen ein.

Der physische Teil des intermedialen Mittelpunkts in Arriach.
Foto: toxic dreams

Der Mittelpunkt selbst ist durch eine rote Betonscheibe markiert, in die zwei sich kreuzende Stahlträger eingelassen sind und durch eine intermediale Installation der Künstlerin Melitta Moschik in den virtuellen Raum erweitert wird.

Wir drücken einen grünen Knopf auf dem entsprechenden Hinweisschild. Der Timer für den Selbstauslöser beginnt zu laufen und nach ein paar Sekunden leuchtet sogar ein kleines Blitzlicht auf, um den Schnappschuss zu bestätigen. Einen Moment später erscheint das Bild schon auf der Website der Gemeinde Arriach. Wir amüsieren uns bei dem Gedanken, dass jemand in der Gemeinde mitverfolgt, wie unsere Bilder von einer Gruppe seltsamer Seeleute langsam von der solarbetriebenen Webcam übermittelt werden.

Ein nicht-inszenierter Schnappschuss für das Webarchiv der Gemeinde Arriach.
Foto: WebFotoPoint Arriach/toxic dreams

Kostüme stiften Begegnungen

Es ist ein ruhiger Ort mit Ausblick auf die Karawanken-Kette. Während wir dort zugange sind, kommen ein paar Wanderer vorbei, für die der Mittelpunkt weniger wichtig scheint als der Gipfel. Unser Matrosenoutfit weist uns als Gruppe mit Mission aus: Manche schreckt das vielleicht ab und sie verzichten scheu darauf, den Mittelpunkt für sich selbst zu beanspruchen. Viel öfter erleben wir aber auf unserer Reise, dass das Kostüm wie eine Einladung funktioniert uns anzusprechen. Es weckt die Neugierde, wir erzählen von unserem Projekt, teilen ein paar auf der Reise erlebte Anekdoten, laden ein, den Blog mitzulesen.

Dann drehen wir manches Mal den Spieß um, fragen, ob wir ein Interview machen dürfen oder bitten unser Gegenüber, den ersten Satz von Melvilles Roman, "Nenn mich Ismael", in die Kamera zu sprechen. Für uns wird damit eine kleine Theaterutopie Wirklichkeit: Publikum und Mitwirkende zu erreichen, die wohl kaum den Weg in unsere Aufführungen in Wien finden würden, in einen improvisierten Austausch mit Menschen zu treten, denen wir sonst nie begegnen könnten.

Wir zwinkern Moby Dick zu: Mit dem Elektroboot auf der Jagd nach einem Plastikwal.
Foto: toxic dreams

Mit Harpunen am Ossiacher See

Am nächsten Tag ist deutlich mehr Action angesagt. Auf der Suche nach Parallelen für den Abenteuergehalt der Waljagd bietet der Ossiacher See einige Gelegenheiten: Wir werfen uns zuerst mithilfe der Sommerrodelbahn einen Hang hinunter und in einen (kleinen) Adrenalinschub hinein. Dann, endlich, geht's auf den See hinaus, wo wir mit Harpunen bewaffnet auf zwei Elektrobooten Jagd auf einen aufblasbaren Wal machen. Weil es am Vortag geregnet hat und die Luft kühler ist als das Wasser des Sees, ist wenig los. Ein Fischer kreuzt uns mit seinem Motorboot – stoisch nimmt er unser vermutlich die Fische verschreckendes Gejohle hin, wirft ruhig seine Angel aus, holt sie wieder ein, fährt weiter.

Walfang und andere Extremsportarten

Die Walfangfischerei zu Melvilles Zeiten war eine weitaus weniger beschauliche Angelegenheit – und erfüllte für so manchen anstatt dem Bedürfnis nach Erholung, wohl eher jenes nach einem ordentlichen Kick. Schon in den ersten Zeilen des Romans bekennt der Erzähler Ismael:

Immer wenn […] meine schwarze Galle so sehr überhandnimmt, dass nur starke moralische Grundsätze mich davon abhalten können, mit Vorsatz auf die Straße zu treten und den Leuten mit Bedacht die Hüte vom Kopf zu hauen – dann ist es höchste Zeit für mich, so bald ich kann auf See zu kommen. Das ist mein Ersatz für Pistole und Kugel.

Wer mit aufmerksamem Blick die Kärntner Seen entlang fährt, könnte zu dem Schluss kommen, dass Urlaub heute auch Ersatz für Pistole und Kugel ist. Überall Action, Abenteuer, Extreme: Extremradfahren, Extremraften, Extremwasserskifahren, Extremfallschirmspringen, Extremraften während des Bungee-Jumpens, Extremradfahren inklusive Kampf mit einem Löwen und Energy-Drink-Schlürfen, Extremskatebordsprung aus dem Hubschrauber mit Tangounterricht.

Actionfilmdrehs für alle

Zugegeben, diese Liste ist nicht ganz dokumentarisch, vermittelt aber ein Gefühl für die Generation GoPro: Mit den kleinen, an Helmen und anderen Funktionskleidungsstücken befestigten Kameras lässt sich jede Sommerrodelbahn in einen Actionfilm verwandeln. Wasser- und stoßfeste Geräte machen Kärnten zur Kulisse für Adrenalin-Pornos.

toxic-dreams-Kameramann Michael Strohmann filmt aus der Sicht des Wals.
Foto: toxic dreams

Die Extremsportarten, die vor 15 Jahren Randerscheinungen waren, sind in der Mitte der Freizeitindustrie angekommen. Walfangschiffe finden sich in Österreich wirklich selten und mit irgendetwas müssen wir Menschlein die ganze freie Zeit ja füllen. Unsere eigene Jagd auf einen Plastikwal haben wir schließlich auch mit einer Video-, einer Fotokamera und zwei GoPros gleichzeitig festgehalten.

Ein Mikrofon unter Wasser

Um all das Adrenalin mit etwas Beruhigendem zu konterkarieren – hier noch, wie der Ossiacher See klingen kann, wenn ihn die Schiffsschraube eines Elektroboots sanft durchpflügt. Aufgenommen am 5. September um 17:10, bei einer Wassertemperatur von 23 Grad und leichtem Wind. (Markus Zett, Yosi Wanunu, Michael Strohmann, 13.9.2017)

toxic dreams

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