Noch mehr orgiastische Energie bietet Mette Ingvartsens Ensemble bei der Neuauflage des Tanzstücks von 2005 auf.


Foto: Jens Setzhmann

Graz – In babyblauen Ganzkörperoveralls lässt die dänische Choreografin Mette Ingvartsen die Tänzer ihres neuen Stücks to come (extended) antreten. Es ist ihr drittes Mal beim Steirischen Herbst nach 69 Positions und 7 Pleasures. Beides Stücke aus einer Serie, mit der sie seit 2014 die Grenzen zwischen privat und öffentlich hinter- und befragt, indem sie auch nackte Tänzerkörper zur Anschauung anbietet.

Ist das nun sexy oder nicht? Unter den hautengen Hüllen zeichnet sich einerseits jeder Oberflächenmillimeter der Körper deutlich sichtbar ab, andererseits liegt dank ihrer kein Stückchen Haut bloß.

Sex sells nach wie vor

Ständig umgeben uns Bilder nackter, halb nackter oder zumindest verführerisch drapierter Körper, das ist der Ausgangspunkt von to come (extended). 2005 zum ersten Mal von Ingvartsen inszeniert, wurde die Neuauflage, wie der Titelzusatz verrät, im Personal gehörig aufgestockt: 40 Glieder mehr zeigen nun ihr Begehr.

Das macht Sinn. Denn nicht nur ist Ingvartsen, damals frisch von der P.A.R.T.S.-Schule in Brüssel abgegangen, inzwischen eine der wichtigsten europäischen Choreografinnen. Da kann man schon mal aufdrehen. Zudem verkauft Sex nach wie vor. Auch wenn Kämpferinnen und Kämpfer für politische Korrektheit und gegen sexuelle Diskriminierung besonders in den vergangenen Jahren dagegen aufbegehren. Fragen nach Körperpolitik sind ungebrochen aktuell.

Heiter schaute Ingvartsen 2005 auf die sexualisierten Darstellungsformen. Lockerheit im Umgang miteinander kann man ihrem Ensemble auch diesmal kaum absprechen. Die 15 Darstellerinnen und Darsteller nehmen eindeutige Posen ein, besteigen und liebkosen einander, schmiegen sich aneinander. Aber das ist nicht ohne schalen Beigeschmack, entbehren sie in ihren Verkleidungen zugleich jeder sinnlichen Versuchung, gleichen oftmals abstrakten und austauschbaren Formen. Im zweiten Teil entwirft Ingvartsen ein Gegenbild, lässt das Ensemble zu Swingmusik einer vergangenen Zeit paartanzen, als der Sex noch nicht befreit, das Feuer daher umso leichter schon zu entfachen war.

Drei Stunden sind für die Uraufführung angeschlagen. Das liegt daran, dass mit dem Applaus nichts zu Ende sein soll. Im Anschluss nämlich soll das Hamburger Elektro-Bass-Duo Die Vögel das Publikum in ein sinnliches Fest verwickeln, so der Plan der Choreografin. (wurm, Spezial, 15.9.2017)