Der Weg von Arriach in Kärnten nach Mühlbach in Salzburg: ein ständiges Auf und Ab – den einen Kärntner Berg herunter und dann den anderen Salzburger Berg wieder hinauf. In Bischofshofen dann noch sauber verfahren – wieso steht Mühlbach irgendwann nicht mehr auf dem Verkehrsschild, meine Damen und Herren? – bevor wir dann nach einer weiteren Serpentinenfahrt den Mühlbach überqueren, um direkt vor Elfis Haustür anzukommen.

Die Dame des Hauses wartet schon mit einem Willkommensgruß auf uns: acht Stamperl mit Williams oder Zwetschke. Dass sich unsere Crew nur aus sieben Mitgliedern rekrutiert, quittiert sie mit einem Achselzucken und spült den einen Schnaps zuviel kurzerhand selbst hinunter.

Und weil sich die Sonne in den Bergen auch noch früher zurückzieht, drehen wir in unserem Wohnmobil bei künstlichem Licht eine schon lange aufgeschobene Orson-Welles-Szene nach, um gegen Mitternacht dann auf Elfis knarrender Stiege eine Szene mit Kapitän Ahab und seiner Crew zu filmen – ohne hoffentlich Elfi in ihrer Bettruhe gestört zu haben.

Kapitän Ahab bei einer nächtlichen Inspektion: Zett, Gschwendtner, Wanunu, Stamer.
Foto: toxic dreams

Erschöpft vom Tagwerk sinken wir in unsere kitschig ausgeschlagenen Betten in mit Nippes überfüllten Zimmerchen, an deren Wänden Sinnsprüche hängen, die irgendwie von glücklichen Ehejahren und wohlgeratenen Kindern künden. Wir schlafen trotzdem tief.

Nach einem langen Tag: Herr Stamer mit Steuerrad und Sinnspruch.
Foto: Peter Stamer

Am nächsten Tag also nix wie hinauf auf die dem Hochkönig gegenüberliegende Karbachalm. Und hier braucht es jetzt die ganze Unbestechlichkeit des Chronisten, um zuzugeben, dass unsere Helden nicht, wie sonst immer, im Schweiße ihres Angesichts den Gipfel erklimmen – schwitzend, fluchend, im Gehen sehnsuchtsvoll nach oben blickend – sondern die Annehmlichkeiten eines Kabinenliftes dankend in Anspruch nehmen.

Der verschwundene Pfahl

Derart frisch bei endlich strahlend blauem Himmel aus der Bergstation hüpfend, fällt ihr Blick auf die sonnenüberflutete Terrasse der Jausenstation, auf der sie den Mittelpunktspfahl, wie sie ihn tausendmal in ihren Recherchen auf Fotos gesehen hatten, vermuten. Aber als sich ihre Pupillen an die ungewohnte Helligkeit angleichen, fällt ihnen auf der Terrasse eine Leerstelle ins Auge –  was für ein Bildbruch, denn wie kann eine Leerstelle ins Auge fallen? In der geografischen Mitte war kein Pfahl, kein Monument, und selbst der Holzboden der Terrasse, durch welchen der Stamm hätte durchgehen müssen, war ohne Loch.

Nun, unsere erschrockene Nachfrage bei der in diesem Moment der Erkenntnis auf die offene Terrasse tretende Frau Monika, die die Gastwirtschaft betreibt, bestätigt, dass es bis vor fünf Jahren jenen, den Mittelpunkt Salzburgs aussteckenden Pfahl gegeben habe, dieser aber aufgrund eines morsch gewordenen Stamms wieder abgebaut worden sei – und Frau Monika keinerlei Ahnung über dessen endgültigen Verbleib habe.

toxic dreams

In unser obligatorisches Mittelpunktsmonumentstatement (siehe Video oben) nehmen wir diese Nachricht gleich ganz sachlich auf, und da wir uns hier auf der Alm dem Dreh einiger Geschichten rund um Kapitän Ahab, der Hauptfigur des Romans "Moby Dick" und dem thematischen Schwerpunkt unserer Salzburger Station, annehmen, ist diese Bergfahrt nicht umsonst.

Kapitän Ahab rechtet mit dem Walfisch – Markus Zett auf einer Almwiese!
Foto: toxic dreams

Das Land, in dem Wohlstand und Fairness fließen

Wieder im Tal, ein Moment der Reflexion: Das Gebiet rund um Mühlbach am Hochkönig wirkt wie ein Land des Überflusses. Ein Wanderparadies, in dem jede Alm und jeder Gipfel von zahllosen Menschen in voller funktioneller Montur bestiegen wird, die das liebliche Panorama und die Bewegung an der frischen Luft genießen. Am Ziel jedes Wanderpfades fast immer ein Restaurant, Getränke, Würste, das gute Leben eben.

Entlang der Straßen im Tal sind jede Menge Wahlplakate zu sehen, auf denen die FPÖ Fairness einfordert. Ja, denkt man, so ein Land der Fairness sollte einiges von seinem Wohlstand abgeben. Denn der einzige Weg, weiterhin das gute Leben zu leben und die frische Luft zu atmen, ist, anderen das Gleiche oder zumindest etwas Ähnliches zuzugestehen.

Metaphorisch gesprochen stehen die Berge des Reichtums überall: opulente Häuser, übergroße Autos auf vollgeparkten Zufahrten zu den Einstiegen in die Wanderwege und unzählige Freizeit-Angebote. Und ja, es ist unfair, dass manche Länder in diesem Überfluss leben und die Menschen hier immer noch denken, sie wären Opfer. Plakate, die diese Art der (Un-)Fairness thematisieren, sucht man allerdings vergeblich.

Zufällige Mittelpunktsdetektive

Nach einem weiteren Dreh bei einem Abstecher zur Tankstelle in Bischofshofen, inklusive Begegnung mit einer knatternden Motorradgang und deren, die Gürtellinie locker unterschreitende Kommentare zu unserem Tun – Wir haben eure Nummernschilder, Freunde! –, machen wir uns nach einem langen Tag endlich auf den Rückweg zu Elfis Ferienwohnungen.

Doch auf der kurvenreichen Strecke zurück sagt plötzlich jemand "Stop" und "Das kann ja gar nicht sein". Wir halten an, setzen ein paar Meter zurück und, tatsächlich, auf dem Rasen eines weitläufigen Hofes, der direkt an der Einfallstraße nach Mühlbach gelegen ist, steht er, der Mittelpunktspfahl von Salzburg. Wir fahren in die Einfahrt, packen die Kamera aus, stellen das Stativ auf, und da kommt auch schon der Hausbesitzer auf uns zugelaufen. Wir erklären ihm unser Interesse an diesem Objekt, nicht ahnend, dass wir vor dem Künstler selbst stehen, der dieses Monument entworfen und gebaut hat.

Ein Pfahl erinnert an seine eigene Vergangenheit

Der Mann heißt Josef Gamsjäger, leitet die örtliche Paussenberg-Galerie und ist ziemlich angefressen. Nicht auf uns, sondern auf das Land Salzburg. Oder vielmehr dessen Desinteresse an seinem Mittelpunkt-Projekt. Vor mehreren Jahren hat Herr Gamsjäger den Mittelpunktspfahl auf eigene Kosten gestaltet und hergestellt, ihn auf den Berg geschafft, von wo er, raffiniert illuminiert, bis ins Tal weithin sichtbar gewesen sei. Allerdings habe das Land die Größe dieser Unternehmung nicht erkennen wollen, als die über fünf Meter hohe Skulptur baufällig geworden sei. Statt Subventionen für die Renovierungsarbeiten gab es nur das Drängen, die Skulptur wieder abzubauen, da sie an ihrem Aufstellungsort auf der Terrasse der Jausenstation Gefahr für Leib und Leben der Gäste darstelle.

Das ehemalige Mittelpunktsmonument von Mühlbach am Hochkönig.
Foto: toxic dreams

So weit, so bürokratisch, da ließ sich nichts mehr machen. Und seitdem steht der Pfahl, in zwei Teile zersägt und gut gesichert, auf dem Gelände seines Schöpfers – wo er nicht mehr den Mittelpunkt seines Landes markieren, sondern nur noch von seiner eigenen Vergangenheit zeugen darf. Als wir spät abends zurückkommen, erzählen wir Frau Elfi von dieser Geschichte. Sie steht in der Tür und lächelt freundlich. Es scheint, als könne ihr der Mittelpunktspfahl irgendwie gestohlen bleiben. (Peter Stamer, Yosi Wanunu, Markus Zett, 17.9.2017)

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