Bild nicht mehr verfügbar.

Martin Schulz kämpft um den Einzug ins Berliner Kanzleramt. Doch in Umfragen stehen seine Chancen schlecht, die SPD liegt weit hinter der Union.

Foto: REUTERS/Ralph Orlowski

Es gibt unangenehmere Orte, um auf einen Spitzenpolitiker zu warten. Auf den Platz vor dem Brandenburger Tor in Potsdam hat die SPD Bierbänke aufgestellt. Die Herbstsonne zeigt, was sie kann, die Bratwurst ist auch nicht weit weg. Und dennoch: Langsam wird das Publikum ungeduldig.

"Wo bleibt der denn?", fragt es hie und da. Martin Schulz ist seit einer geschlagenen Stunde überfällig. Man hat jetzt schon alle Vorzüge der Sozialdemokratie gehört – dargeboten von den örtlichen Kandidaten. Aber die Leute wollen Schulz sehen.

"Wahrscheinlich muss er erst die neue Umfrage verdauen", sagt jemand. Das kann gut sein: Infratest dimap hat sie am Donnerstag veröffentlicht, die Zahlen sind für die SPD katastrophal. Sie liegt bei 20 Prozent, die Union bei 37. Am Freitag durfte man sich im Willy-Brandt-Haus in Berlin aber eine gewisse Erleichterung gönnen. Die Forschungsgruppe Wahlen legte nach, sie sieht die SPD bei 23 Prozent, die Union bei 36 Prozent.

Kritik aus eigenen Reihen

Und jetzt fangen auch noch die eigenen Leute zu nörgeln an. Klaus von Dohnanyi, SPD-Urgestein und ehemaliger Hamburger Bürgermeister, erklärt in einem Interview mit der "Welt", er könne Schulz nicht wählen, weil sich dieser nicht klar von der Linkspartei distanziere.

Das gefällt Konstantin (19) auch nicht. Er ist Erstwähler und noch unentschieden. "Ich finde die Sozialdemokraten eigentlich ganz gut", sagt er. "Aber ich will keine rot-rot-grüne Regierung. So was probiert man in friedlichen Zeiten aus – aber nicht in dieser unsicheren Phase der Weltgeschichte." Im Moment reicht es rechnerisch ohnehin nicht für Rot-Rot-Grün. Konstantin bleibt skeptisch: "Den Trump und den Brexit haben die Meinungsforscher auch falsch vorausgesagt."

Dann kommt Schulz endlich und geht auf die Bühne. Start me up, haben die Rolling Stones gerade noch gesungen – doch nun sieht man für einen Augenblick einen sehr müden Mann schweigend hinter dem Pult stehen.

Nur wenige Schulz-Schilder

Aber Schulz ist Profi, er räuspert sich kurz und knipst sein Programm an. "Ich bin hier, weil ich Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden will", ruft er. Dafür gibt es durchaus Applaus, auch Schilder mit der Aufschrift "Jetzt ist Schulz" werden geschwenkt. Man kennt sie noch aus dem Frühjahr, als Schulz mit sensationellen 100 Prozent zum SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten gewählt wurde.

Damals waren Sozialdemokraten Glückspilze, sehr viele wollten ein Schulz-Schild haben. Sechs Monate später ist das anders. In Potsdam spult Schulz zunächst seine Rede ab und erklärt, was er alles machen will: für bezahlbare Mieten sorgen, die Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen aufheben, sich für gleiche Löhne von Männern und Frauen einsetzen.

Ja, sagt er, "Deutschland ist ein wohlhabendes Land." Aber: "Nicht alle Menschen sind wohlhabend." Er müsse sich dauernd anhören, Deutschland sei ein starkes Land, und er würde es nur schlechtreden, sagt Schulz und äfft dabei Merkel nach. "Wir reden nicht das Land schlecht, wir machen es besser", schiebt er nach, was gut ankommt.

"In der DDR besser geregelt"

Pensionistin Martha hat er damit schon überzeugt. "Ich werde die Sozialdemokraten wählen, weil sie doch für einen starken Staat stehen." Keine Frage, es sei gut, dass die DDR nicht mehr existiere, sagt sie: Aber: "Es ist schon gut, wenn sich der Sozialstaat um einen kümmert. Meine Tochter hat gerade ihr drittes Kind zur Welt gebracht und rennt von einem Amt zum anderen. Das war früher in der DDR besser geregelt."

Dass Schulz tatsächlich der neue Bundeskanzler wird, glaubt die Potsdamerin nicht. "Er liegt einfach zu weit hinten. Das kann er nicht mehr aufholen." Schulz selbst hat da ja eine andere Rechnung. Er erklärt, bis zu 45 Prozent der Menschen seien noch unentschlossen. Die wolle er bis zum 24. September noch gewinnen.

Kampf um Unentschlossene

Es findet sich allerdings kein Demoskop, der meint, es sei völlig logisch, dass alle Unentschlossenen ganz sicher SPD wählen.

Schulz könnte jetzt in der Herbstsonne noch viel zum Programm sagen, aber er möchte etwas in eigener Sache loswerden. Was so alles über ihn geschrieben werde. Dass er den Charme eines Eisenbahnangestellten habe und die Aura eines Sparkassenangestellten. Sogar, dass noch nie einer mit Bart Kanzler geworden sei.

"Mir is dat ja ejal ...", sagt er, und man glaubt es ohnehin keine Sekunde. Dass es ihn trifft, ahnt man auch, als er über die "Verachtung" dieser Worte spricht und empört fragt: "Was ist an einem Eisenbahnschaffner schlecht?"

Dafür gibt es großen Applaus. Beifall erhält Schulz auch, als er über die AfD schimpft und sie als "Schande für Deutschland" und "Totengräber der Demokratie" bezeichnet. AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland hat gerade gefordert, wieder "stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen".

Zweites TV-Duell

"Hau rein!", brüllt jemand aus dem Publikum, man darf es als Aufforderung an Schulz verstehen. Der verspricht, man werde sich "denen in den Weg stellen".

Aber jetzt knöpft er sich doch lieber noch mal Merkel vor. "Zu Wasser, zu Lande und in der Luft" sei er bereit, mit ihr ein zweites TV-Duell auszutragen – darüber, "was wir mit diesem Land vorhaben". Aber sie wolle ja nicht.

Er selbst sei nämlich "langsam am Limit", weil der Wahlkampf so anstrengend sei. Denn: "Ich muss immer mein eigenes Programm erklären – und das der Merkel. Weil sie selber sagt ja nix." Sein Fazit: "In dieser Weltmeisterschaft des Ungefähren kommen wir nicht weiter. Wir müssen mehr diskutieren. Und ihr könnt mir auch mal sagen, wenn was Quatsch ist." Zumindest hier aber gibt es gegen ihn keinen großen Widerstand. (Birgit Baumann aus Potsdam, 15.9.2017)