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Harry Dean Stanton bei der Premiere von "Marvel's The Avengers" im Jahr 2012.

Foto: REUTERS/Danny Moloshok/File Photo

Los Angeles – Ein "Moment der Ruhe" wird eine der letzten Szenen sein, mit denen Harry Dean Stanton im Gedächtnis bleibt. In der Serie Twin Peaks spielte er Carl Rodd, den Inhaber eines Trailer Parks, der eines Tages beschaulich auf einer Parkbank sitzt und einen Kaffee trinkt. Eine Mutter kommt mit ihrem kleinen Sohn vorbei, der alte Mann schaut ihnen versonnen dabei zu, wie sie ein wenig herumtollen. Die Vögel zwitschern, ein leichter Wind fächelt durch die Bäume – das Leben gibt sich flüchtig als schön und klar zu erkennen, aber natürlich ist so etwas im Universum von David Lynch immer nur eine Atempause, bevor wieder etwas Schreckliches geschieht.

Carl Rodd ist in der dritten Staffel von Twin Peaks nur eine von vielen Randfiguren in einer einigermaßen unübersichtlichen Handlung. Aber die paar Szenen, die er hat, werden nun von Fans als "bedeutungsschwanger" noch einmal unter die Lupe genommen. Dass die ganze Staffel eine Art Zeitreise mit vielen Selbstzitaten darstellt, passt auch gut zu dem Auftritt von Harry Dean Stanton, der hier noch einmal die Persönlichkeit präsentiert, die er ein langes Schauspielerleben lang perfektioniert hatte: den hageren, wortkargen Einzelgänger, der vor allem im Westerngenre zahlreiche Einsätze hatte.

Prägnante Nebenfiguren

Harry Dean Stanton wurde 1926 im Bundesstaat Kentucky geboren, und ging nach dem Kriegsdienst bald nach Kalifornien, wo er anfangs Theater spielte, bald aber mit zahlreichen Auftritten vor allem in Fernsehserien ein Auskommen als Schauspieler fand. Alarm in Fort Bowie (1957) von Lesley Selander gilt als sein erster Credit, damals noch als Dean Stanton, wie er bis Ende der 60er-Jahre genannt wurde. In Monte Hellmans New-Hollywood-Klassiker Two-Lane Blacktop firmierte er erstmals als Harry Dean Stanton, er spielte einen Autostopper aus Oklahoma, der auf einem Raststättenklo (in einer brillant inszenierten Szene verhaltenen Slapsticks) schwulen Kontakt sucht.

Die prägnanten Nebenfiguren, auf die Stanton abonniert war, wurden zunehmend interessanter, er arbeitete nun mit Arthur Penn (Duell am Missouri) oder John Carpenter (Die Klapperschlange), und in Ridley Scotts Alien war er Brett, der Techniker der Nostromo, der naturgemäß ein schreckliches Ende nimmt, nachdem er einem Kätzchen zu weit in die hintersten Winkel des Raumschiffs gefolgt ist.

Harry Dean Stanton in der Dokumentation "Partly Fiction" (2015) über das Leben und Werk des Künstlers.
First Hand Films

Hauptrolle in Paris, Texas

Es war der deutsche Regisseur Wim Wenders, der für Harry Dean Stanton eine wichtige Wende bedeutete: Denn in Paris, Texas (1984) bekam er eine Hauptrolle. Er vertrat dabei in gewisser Weise Sam Shepard, der das Drehbuch geschrieben hatte, und ein ähnlicher Phänotyp war. Der verwahrloste Travis, der buchstäblich aus der Wüste kommt und ein schreckliches Geheimnis zu lösen hat, gab Harry Dean Stanton Gelegenheit, seine verletzliche Seite noch deutlicher zu zeigen.

In den Männergenres war er selten einmal der dominierende Part, in diesem amerikanophilen europäischen Autorenfilm aber konnte er sich schon allein auf seine große Fotogenität verlassen. "Er weiß, dass sein Gesicht eine Geschichte ist", hat Sam Shepard über ihn gesagt. Die natürliche Autorität, die sich damit verbindet, zeigte er vielleicht am unmittelbarsten in dem Teenagerfilm Pretty in Pink (1984). Mit David Lynch verband ihn schließlich eine besondere Beziehung. Stanton war nicht nur in Twin Peaks vertreten, sondern in Wild at Heart, A Straight Story und Inland Empire.

Leidenschaft Musik

Als er 2010 in der Serie Big Love die Rolle von Roman Grant, eines mormonischen Polygamisten, übernahm, da fand sich in Profil dieser Figur auch einiges von der zweiten Leidenschaft von Harry Dean Stanton wieder: Er war Musiker, in der Serie interpretierte er beispielsweise den Song Big Rock Candy Mountain. In anderen Zusammenhängen widmete er sich stärker der hispanischen Musik, häufig trat er mit einer Mariachi-Band auf, man findet aber auch Videoclips, in denen er sich neben dem ambitionierten Hobbygitarristen Johnny Depp auf der Bühne zeigte. In Talkshows sieht man ihn immer wieder mit einem Drink und einer Zigarette. Auf das letztere Laster spielt Carl Rodd auch in Twin Peaks noch einmal an. 2014 erschien ein Album mit Songs aus dem Porträtfilm Partly Fiction, mit Interpretationen von Standards wie Blue Bayou oder Everybody’s Talkin’.

Am Freitag ist Harry Dean Stanton im Alter von 91 Jahren in Los Angeles gestorben. (Bert Rebhandl, 16.9. 2017)