Bessere Konjunktur, mehr Aufträge, verschärfter Fachkräftemangel, sagt die aktuelle Umfrage der Industriellenvereinigung

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Neumayer auf die Frage, ob es ein eigenes Digitalisierungsministerium brauche: "Ich glaube nicht. Digitalisierung ist eine Querschnittsmaterie, die durchgängig verankert sein muss."

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STANDARD: Stimmt die Gleichung, dass die bessere Konjunktur den sogenannten Fachkräftemangel verschärft?

Neumayer: Wir erheben gerade aktuell die Lage bei 280 Unternehmen, unseren Leitbetrieben und Finanzdienstleistern. Die ersten Ergebnisse zeigen: Acht von zehn Leitbetrieben melden Rekrutierungsprobleme in den Zukunftsbereichen Technik, Produktion sowie Forschung & Entwicklung. Dabei geht es nicht nur um akademisches Personal, sondern auch um Fachkräfte.

STANDARD: Wie wirken sich diese Rekrutierungsprobleme tatsächlich aus? Geht es um Planung oder um aktuelle Aufträge?

Neumayer: Vor allem in Oberösterreich können Unternehmen Aufträge derzeit nicht mehr annehmen, weil schon in Vollauslastung gefahren wird.

STANDARD: Wurde seit 2008 trotz verschiedenster Stabilisierungsmaßnahmen wie Kurzarbeit doch fortlaufend zu zyklisch reduziert?

Neumayer: Nein, der Mitarbeiterstand wurde durchwegs hoch gehalten. Jedes vierte Unternehmen, das Stellen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich zu besetzen hatte, meldet, dass aktuell noch weitere Jobs in diesem Bereich offen seien, aber keine Bewerber verfügbar sind. Digitalisierung und Industrie 4.0 sind voll angekommen. Die Nachfrage wird weiter nach oben gehen.

STANDARD: Konkret in welchen Bereichen?

Neumayer: Im Mint-Bereich (Mathematik, Informationstechnologie, Naturwissenschaften, Technik), sagen alle Prognosen, wird mit höchstem Jobwachstum gerechnet. Wir gehen von plus vier Prozent Zuwachs pro Jahr aus. Insgesamt könnten bis 2020 annähernd 40.000 neue Mint-Jobs entstehen, fast 18.000 davon im hochqualifizierten IT-Bereich.

STANDARD: Eine Studie des IBW im Auftrag der Industriellenvereinigung aus dem Vorjahr sagt, dass der Bedarf nicht nur im akademischen Absolventenbereich liegen wird ...

Neumayer: Genau. Derzeit zeigt sich besonders auch die tragende Rolle der HTL für die Industrie. Aus der Personalstruktur der Leitbetriebe wissen wir: Zwei Drittel des höherqualifizierten technischen Personals – diese Firmen repräsentieren drei Milliarden Euro Forschungsausgaben – stammen aus HTLs und aus angeschlossenen Fachhochschulen. Fast 60 Prozent der Betriebe gehen davon aus, dass der Bedarf an HTL-Absolventen bis 2021 weiter zunehmen wird. Es geht in Richtung Akademisierung, aber nicht ausschließlich. Die HTLs gewinnen deutlich an Attraktivität.

STANDARD: Die HTLs sind nun ja auch im Nationalen Qualifikationsrahmen, der Bildungsabschlüsse zuordnet, um sie vergleichbar zu machen, aufgewertet: HTL-Ingenieure stehen da mit Bachelors auf einer Stufe – ein Signal?

Neumayer: Ein gutes und wichtiges Signal und ein wichtiger Schritt in der Durchlässigkeit.

STANDARD: Welche Studienrichtungen nennen Ihre Mitglieder als Topfavoriten?

Neumayer: Maschinenbau, Wirtschaftsingenieurwesen, Elektrotechnik und Elektronik, Betriebs- und Wirtschaftswissenschaften, Verfahrenstechnik, Mechatronik, Telematik und Nachrichtentechnik sowie Informatik natürlich und Wirtschaftsinformatik. Jede Anreicherung mit IT-Skills in Ingenieurdisziplinen steht ebenfalls ganz oben auf der Suchliste. Mehr als die Hälfte der aktuell Befragten plant, auch verstärkt Graduierte aufzunehmen.

STANDARD: Die sogenannte Verfügbarkeit dieser Leute ist europaweit ein Thema. Schnell wird sich diese Lücke, die - wie Sie sagen – schon jetzt limitierend auf Wachstum wirkt, ja nicht schließen lassen ...

Neumayer: Nur teilweise. Aber es hat sich in den vergangenen Jahren bereits viel getan, wir haben auch eine Reihe von Projekten mit Partnern geschaffen, etwa auch ein Mint-Gütesiegel für Schulen oder den Kindertag der Industrie. Weiterbildung ist im Gange – aber Bildung braucht, bis sie im Arbeitsmarkt ankommt. Grundsätzlich sollten wir im gesamten Bildungssystem mehr in Richtung Output schauen als in Richtung Input-Diskussion, von der Schule bis zum Forschungsbereich.

STANDARD: Brauchen wir in Österreich ein Digitalisierungsministerium, damit mehr weitergeht?

Neumayer: Ich glaube nicht. Digitalisierung ist eine Querschnittsmaterie, die durchgängig verankert sein muss. (23.9.2017)