Um gesund alt zu werden, dafür gibt es viele Rezepte. Auch muss man sich das Alter leisten können. Die Schweizer Rentenreform, die am Sonntag vors Volk kommt, halten viele für schwer verdaulich.

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Bern – "Die Reform der Altersvorsorge ist ein Kompromiss und ein Werk der Solidarität", sagt der zuständige Innenminister, Bundesrat Alain Berset, landauf, landab in Referaten und Interviews. Nach zwanzig Jahren Reformstau sei es an der Zeit, die Altersvorsorge zu modernisieren und an die heutigen Bedürfnisse anzupassen. Die steigende Lebenserwartung der Menschen führe dazu, dass die Altersvorsorge aus dem Gleichgewicht zu geraten drohe, so der sozialdemokratische Politiker.

"Diese Refom ist ein Brandbeschleuniger. Der AHV-Ausbau mit der Gießkanne ist der falsche Weg", warnte hingegen die FDP-Chefin Petra Gössi in der Boulevardzeitung Blick. Die AHV, die Alters- und Hinterbliebenenversicherung, die in der Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt worden ist, gilt als das wichtigste Sozialwerk der Schweiz. Sie wird im Umlageverfahren über Lohnabzüge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber finanziert und sorgt für eine Umverteilung von Reich zu Arm, indem die Gutverdiener viel mehr einzahlen, als sie je an Rente erwarten dürfen.

Niedrigzinsen belasten Vorsorge

Neben dieser "ersten Säule" gibt es die obligatorische berufliche Vorsorge, in der jeder Angestellte für sich selbst seine künftige Pension anspart. Allerdings greift dies erst ab einem Jahreslohn von über 21.000 Franken (gut 18.000 Euro); viele Teilzeitarbeitende oder Geringverdiener haben deshalb keine berufliche Vorsorge. Und diese "zweite Säule" gerät zunehmend in Schieflage, weil das angesparte Kapital in den Pensionskassen langfristig angelegt werden und Rendite erwirtschaften muss, was im jetzigen Tiefzinsumfeld immer schwieriger wird.

Die Vorlage zur Reform der Altersvorsorge will diese beiden Säulen stabilisieren. "Die Menschen in der Schweiz sollen sich darauf verlassen können, dass das Niveau der Altersrenten erhalten bleibt. Dies erreicht die Reform mit einer ausgewogenen Gesamtlösung", schreibt der Bundesrat denn auch in seiner Abstimmungsbotschaft. Diese "Gesamtlösung" ist ein kompliziertes Puzzlespiel aus vielen unterschiedlichen Maßnahmen: So sollen die Renten in der zweiten Säule gekürzt werden, das AHV-Rentenalter der Frauen um ein Jahr auf 65 angehoben und die AHV-Renten um 70 Franken (60 Euro) im Monat erhöht werden; finanziert werden soll dies unter anderem durch eine leichte Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Sparen und zusätzliche Einnahmen

"Die Reform verhindert, dass die AHV im nächsten Jahrzehnt große Defizite machen muss. Ohne Gegenmaßnahmen wären die Renten mittelfristig nicht mehr garantiert. Mit Einsparungen und zusätzlichen Einnahmen wird die AHV gesichert", betont der Bundesrat in seiner Botschaft.

Regierung und Parlament arbeiteten sechs Jahre an dieser umfassenden Altersreformvorlage; alle politischen Lager mussten Kröten schlucken, und deshalb wird die Reformvorlage von ganz links wie von ganz rechts zur Ablehnung empfohlen. Linke Gewerkschafter kritisieren die Erhöhung des Frauenrentenalters, während die rechtskonservative SVP und die liberale FDP anstelle der solidarischen AHV lieber die individuelle Vorsorge stärken wollen.

Die christdemokratische CVP, Grüne, Sozialdemokraten und Gewerkschaften unterstützen die Reform. Gerhard Pfister, der Vorsitzende der CVP, betont, die leichte Erhöhung der AHV-Renten sei nötig, "weil längst nicht alle eine zweite Säule haben! 500.000 Frauen haben keine Pensionskasse. Nur über die AHV erhalten diese eine spürbare Rentenverbesserung." In sozialen Fragen komme man an der Linken nicht vorbei. Deshalb habe die CVP Hand zu einem "fairen Kompromiss" geboten, so Pfister weiter.

Auch der traditionell bürgerlich ausgerichtete Bauernverband steht für ein Ja ein, da auch viele Bauern zu den Wenigverdienern zählen, die keine berufliche Vorsorge haben und deshalb auf die AHV angewiesen sind. Ihnen käme der Ausbau der Altersversicherung zugute. (Klaus Bonanomi aus Bern, 23.9.2017)