"Muffige Atmosphäre hier": Bruscon, Thomas Bernhards Theatermacher, ist eher kein Optimist. Im Bild: Otto Schenk als Bruscon in einer Aufführung des Theaters in der Josefstadt 2006.

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Es wirkt, als könne der Deutsche Idealismus in Kürze gegen den Darwinismus verlieren. Die hochgradige Anpassungsfähigkeit wird in Deutschland voraussichtlich mit klarer relativer Stimmenmehrheit belohnt werden. Das auf Charles Darwins Evolutionstheorie (Über die Entstehung der Arten) bezogene Diktum des englischen Sozialphilosophen Herbert Spencer, "Survival of the Fittest" bedeutet nicht, wie häufig irrtümlich übersetzt, dass "die Stärksten oder Fittesten", sondern dass "die Anpassungsfähigsten überleben".

In der Politik gewinnt in Deutschland gerade das Anpassungsfähigste schlechthin, die programmatische Angleichung an die Masse.

Synchron statt anbiedernd

Je nach politischer Umgebung und jeweiligem Trend, ob in der Flüchtlingspolitik, Maut- oder Türkei-Frage, die erratischen Änderungen von Haltungen stellen eine äußerste Adaptionsfähigkeit dar. Es ist kein offensichtliches Anbiedern an den Boulevard, sondern zutiefst empfundene Synchronität mit der Masse, der sichere Instinkt für das Wesen des Mainstreams.

Die nach den Sprachwissenschaftern Jacob und Wilhelm Grimm einflussreichste Erzählerin der deutschen Gegenwart passt sich an, bagatellisiert wo nötig, beschwichtigt und sediert. "Ein wenig Gift ab und zu: Das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben", schrieb Friedrich Nietzsche in seinem Zarathustra. Doch nach jeder großen Dosis Sedativum kommt irgendwann das Erwachen. Enttäuschte Massen waren immer schon der Boden für Revolutionen.

Enttäuschte Massen

Im Windschatten einer solchen narrativen Tradition, dem Erzählen der immer gleichen Geschichten, kann Populismus ungestört wachsen und erstarken. Er fällt auf fruchtbaren Boden, denn zum einen ist der verschmutzte und beschädigte Sprachkern des Völkischen immer noch vorhanden, zum anderen wird durch verkürzte Sprache und Bagatellisierung die Komplexität der Welt zu Phrasen reduziert.

Die Anpassungsfähigkeit schielt auf jenen Identifikationsraum, in dem sich die gesellschaftliche Mehrheit nach Jahren der Wirtschaftskrise ermattet eingerichtet hat. Anpassung und Resignation statt Aufbruch und Ideen. Sich der Passivität des politischen Karussellfahrens ergeben, nicht aufstehen – noch eine Runde bitte!

Infantilitätspopulismus

In Österreich ist vieles des Obenerwähnten noch eine Stufe hoffnungsloser, deshalb aber noch lange nicht ernst. Im Alpenland wird zurzeit der Titel eines deutschen Liedermachers in die politische Realität umgesetzt: jener von an die Macht gelangenden Kindern. Man gleitet in Öster- reich vom Rechtspopulismus über den hybriden Populismus nahtlos in einen weitgehend inhaltsbefreiten "Infantilitätspopulismus".

Um dieses Austriacum in seiner gesamten Tragweite sichtbar zu machen, sei ein (minimal hinkender) Vergleich mit deutschen Verhältnissen dargereicht: Man stelle sich vor, die Junge Union hätte die innerparteiliche Macht in der CDU/CSU übernommen. CDU und CSU wären – ohne einen umfassenden internen Erneuerungsprozess durchlaufen zu haben – offiziell zur Bewegung erklärt worden. Eine solche junge, lustige und weitgehend inhaltsvermeidende CDU/CSU plante nun, eine Koalition mit der AfD zu bilden.

Das ist es, was sich derzeit in Österreich anzubahnen scheint. Jedes Land Zentraleuropas, dem so etwas bevorsteht, brauchte künftig nur noch eine einzige Sache: Glück.

Noch vor wenigen Monaten wäre es in der Wirtschafts- partei ÖVP undenkbar gewesen, die Gegenfinanzierung von versprochenen Steuersenkungen mit möglichem künftigem Wirt-schaftswachstum zu argumentieren. Eine solche volkswirtschaftliche Ferne wäre nicht einmal rhetorisch erlaubt gewesen.

Für den möglichen Koalitionspartner FPÖ stellt das alles gar kein Problem dar; die Mischung aus Angriffigkeit und sichtbar guter Laune wirkt wie eine Bestätigung, dass das Fell des Bären ohnehin längst parteiintern verteilt wird.

Und die SPÖ? Victor Adler, der aus bürgerlichem Haus stammende Parteigründer der österreichischen Sozialdemokratie, investierte nahezu sein gesamtes Vermögen in die Partei. Viele der sozialdemokratischen Spitzenfunktionäre der letzten Jahrzehnte scheinen unterdessen den gegenteiligen Weg eingeschlagen zu haben und mithilfe der Partei in die Selbstdarstellung zu investieren.

Der aktuelle Wahlslogan der SPÖ ist zwar im Sinne des sozialen Ausgleichs gemeint, wirkt vor diesem Hintergrund jedoch wie ein Freud'scher Versprecher: Holen Sie sich, was Ihnen zusteht.

Gesellschaftliche Mehrheiten bestimmen in Deutschland und Österreich den politischen Weg. Vermeintlich. Doch statt großer und wichtiger Reformen im Verwaltungs-, Bildungs- und Sozialbereich werden nur Maßnahmen umgesetzt. Ohne Mut und ohne Vision.

Theatermacher

"Wenn wir klar denken, müssen wir uns umbringen", sagt Bruscon, der Theatermacher im gleichnamigen Drama von Thomas Bernhard.

Es scheint allmählich geboten, diese Methode des geistigen Überlebens wieder in Betracht zu ziehen. (22.9.2017)