ÖVP-Chef Sebastian Kurz eröffnete am Samstag den Intensivwahlkampf in der Wiener Stadthalle.

Foto: Standard/Fischer

Türkis so weit das Auge reicht.

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Sebastian Kurz dankt am Anfang seiner Rede vor allem seinen Eltern.

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Wien – Die Zogelsdorfer haben einen Platz ganz weit oben auf der Nordtribüne der Wiener Stadthalle gefunden, aber Sebastian Kurz hat sie ausgemacht, grüßt sie besonders: Zoglesdorf ist die Ortschaft, aus der seine Familie stammt – gerade einmal 150 Seelen leben heute noch dort.

Aber viele von den Zogelsdorfern sind gekommen, um gemeinsam mit rund 10.000 anderen Kurz-Fans den Wahlkampfauftakt der Volkspartei zu feiern. Wobei: Aller Feststimmung, die Peter Eppinger als Stimme der Bewegung für Kurz anzuheizen versteht, zum Trotz gibt es eigentlich gar nichts zu feiern.

ORF-Beitrag zum Wahlkampfauftakt.
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Warnung vor Rot-Blau

Kurz weiß das, seine Generalsekretärin Elisabeth Köstinger weiß es auch: Nicht Umfragen gilt es zu gewinnen, sondern die Wahl. Und nach der Wahl müsste bei einem entsprechenden Ergebnis die Regierungsbildung geschafft werden – was gar nicht so sicher ist, wie Köstinger warnt: "Natürlich wissen wir, das Rot-Blau vorbereitet wird." Der Wille, es sich bequem zu machen, sei für die Sozialdemokratie groß.

Köstinger aber spricht aus, was man sonst nur von Freiheitlichen hört: "Der Zuspruch, den wir erfahren, zeigt, dass die Menschen in Österreich dieses politische System satt haben."

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Und dann, nach vielen Kandidaten, nach vielen Unterstützern – darunter der elfjährige Nikolaus, der schon seit Jahren den Berufswunsch Bundeskanzler hegt – und nach Köstinger kommt dann eben Kurz ans Mikrofon. Er wärmt sich rhetorisch auf, mit Grüßen nach Zogelsdorf, mit dem Dank an seine Eltern, mit einer Rückschau auf die 132 Tage, die er schon an der Parteispitze ist: "Wir alle glauben daran, dass echte Veränderung in Österreich möglich ist. Das hat vor 132 Tagen seinen Anfang genommen, als ich die Führung in der Volkspartei übernommen habe. Und es hat begonnen mit vielen, die gesagt haben, das wird nix, das kann nichts werden, vor allem auch: Das soll nichts werden."

Klares Bekenntnis zum Führungswillen

Aber Kurz macht vor seinen Fans klar, dass er für Veränderung steht – so wie er seine eigene Partei umgekrempelt hat, so wie er dort Nörgler und Zweifler kaltgestellt hat, so wie er dort die Macht übernommen hat, so will er es auch in Österreich halten.

"Erst wenn wir die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen haben, können wir in diesem Land etwas verändern", ruft Kurz und bekommt Applaus von seiner Partei, die er auf Türkis umgefärbt und ganz auf Linie gebracht hat.

Sieben Punkte der Veränderung

Sieben Punkte brauche er, um das Land nachhaltig zu verändern:

  • Richtlinienkompetenz für den Bundeskanzler: Mit diesem in Deutschland etablierten System werde er die Möglichkeit haben, "zu führen und zu entscheiden".
  • Schuldenbremse in der Verfassung: Auch das ist in Deutschland umgesetzt, "denn wer langfristig mehr ausgibt als er einnimmt, wird das Land an die Wand fahren". Dazu gehöre auch, dass nach einem Neuwahlbeschluss keine budgetbelastenden Nationalratsbeschlüsse (wie sie zuletzt etwa bei der Abschaffung des Pflegeregresses auch mit den Stimmen der ÖVP zustande gekommen sind) mehr gefasst werden dürften.
  • "No child left behind" – dieses unter US-Präsident George W. Bush 2001 von beiden Parteien beschlossene Gesetz ist Vorbild für den Kurz-Vorschlag, dass alle Kinder in der Schule sprachlich gefördert werden müssen – und dass jeder Jugendliche am Ende der Schule lesen, schreiben und rechnen können muss.
  • Eine "ordentliche Steuerreform, damit der, der arbeiten geht, nicht der Dumme ist" – wie genau diese Reform aussehen soll, hat Kurz nicht geschildert, aber Köstinger hat jedenfalls neue Steuern zu einer Gegenfinanzierung ausgeschlossen.
  • Ein "klares Bekenntnis zum Schutz des Sozialsystems" wird von Kurz vor allem als ein Zurückfahren von Ansprüchen gesehen, die er als ungerechtfertigt sieht, etwa dass 300 Millionen Euro an Familienbeihilfen ins Ausland transferiert werden.
  • Ein "Grundkonsens zur Zuwanderung" wird von ihm ebenfalls so dargestellt, dass man eher von einem "Grundkonsens gegen Zuwanderung", jedenfalls gegen unkontrollierte Zuwanderung, sprechen kann – "damit wir entscheiden, wer zu uns kommt und nicht die Schlepper".
  • Schließlich "ein klares Bekenntnis zur europäischen Union", denn "von einem starken Europa profitieren wir alle".

Häupl hat "noch nie so etwas Dummes gehört"

Wiens Bürgermeister Häupl war der Erste, der aus der SPÖ auf die Rede des türkisen Parteichefs reagiert hat: Anders als Kurz will er nichts davon wissen, dass es in Wien Menschen gibt, die wegen der Veränderung ihrer Wohnumgebung einen Wohnungswechsel überlegen. "So etwas Dummes habe ich überhaupt noch nie gehört", meinte Häupl. Auch dass Kurz seine Vorstellungen umsetzen will, relativiert Häupl: Kurz scheine nicht begriffen zu haben, was Demokratie heiße, nämlich ein Miteinander und das Eingehen von Kompromissen.

In einer weiteren Reaktion bekräftige Kurz am Sonntag seine Kritik an Wiens Zuwanderungspolitik. "Die Zeit des Wegschauens ist vorbei. Es gibt genug Wiener, die sich überlegen, in einen anderen Bezirk umzuziehen, weil sie sich in ihrer Gasse mittlerweile etwas fremd fühlen. Michael Häupl sollte dieses Problem anerkennen und zugeben", schreibt Kurz in einem Statement.

"Es muss Schluss sein damit, die Probleme schönzureden und zuzudecken", so Kurz, der in der Bundesregierung für Integration zuständig ist, weiter: "Die Zuwanderung muss reduziert und die Integrationspolitik in Wien muss verändert werden." (Conrad Seidl, APA, 23.9.2017)