Wien – Die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe machte keinen Unterschied, ob Juden in Österreich vom NS-Regime vertrieben oder ermordet wurden. Ausschlaggebend sei in erster Linie das Alter gewesen, zeigt eine Auswertung von über dreißig verschiedenen Quellen durch Experten des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW). Die Ergebnisse des Projekts wurden am Montag in Wien vorgestellt.

Die Experten haben verschiedene Quellen wie die vom DÖW durchgeführte "Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer", die "Auswandererkartei" der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, die Akten der Gestapo Wien, Listen von Kündigungen im Gemeindebau bis hin zu Akten der sogenannten Opferfürsorge nach 1945 verknüpft.

Alter wichtigerer Faktor als berufliche Stellung

Dies habe es erstmals möglich gemacht, auf Basis der Sammlung individueller Schicksale kollektive demografische oder soziostrukturelle Muster zu erkennen, erläuterte Andreas Kranebitter, Leiter der Forschungsstelle der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Insgesamt wurden die Daten von mehr als 200.000 verfolgten Österreichern zusammengestellt.

"Es ist es jetzt möglich, soziologische Merkmale von vertriebenen österreichischen Juden mit jenen von ermordeten zu vergleichen", sagte Kranebitter, der im Auftrag des DÖW die Quellen auswertete. So sei es "eher eine Frage des Alters als eine Frage der beruflichen Stellung gewesen, rechtzeitig der Vernichtung zu entkommen".

"Mehr als die Hälfte der jüdischen Männer und Frauen der Jahrgänge 1860 bis 1880 wurden im Holocaust ermordet, während der Anteil der Ermordeten bei den Jahrgängen 1900 bis 1920 bei zehn bis 20 Prozent lag", so der Soziologe. Einen der Gründe für diesen Unterschied sieht er darin, dass "viele ältere Menschen nicht bereit oder auch nicht in der Lage gewesen waren, das Land zu verlassen".

Präsentation in Wien

Die oft zu findende These, dass häufiger Angehörige aus der Arbeiterschicht und ärmeren Bevölkerungsgruppen ermordet wurden, bestätigte sich in dem Forschungsprojekt nicht. "Eines der überraschendsten Ergebnisse war, dass sich die soziale Schichtung der Ermordeten und der Überlebenden so gut wie gar nicht unterschieden hat", so Kranebitter.

Weitere Ergebnisse der Auswertung werden beim DÖW-Symposion "Vertreibung und Vernichtung. Neue quantitative und qualitative Forschungen zu Exil und Holocaust" vorgestellt, das bis morgen, Dienstag, in Wien stattfindet. (APA, 25.9.2017)