Die Wahl am Sonntag wird Deutschland und wegen des politischen und wirtschaftlichen Gewichts dieses Landes auch Europa stärker verändern, als viele Beobachter geglaubt und manche befürchtet haben. Es geht nicht nur um den Einzug einer starken nationalistischen und rechtspopulistischen (in weiten Teilen rassistischen und rechtsradikalen) Partei wie der AfD in den Bundestag.

Die verblüffenden Resultate spiegeln eine neue politische Landschaft wider, die von der Spaltung der Gesellschaft und der in diesem Ausmaß unerwarteten Niederlage der drei Koalitionsparteien (CDU, CSU und SPD) geprägt wird. Die Spekulationen über eine schwarz-gelb-grüne Koalition dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ausgang der erwarteten langwierigen Verhandlungen völlig ungewiss ist. Bisher galt Deutschland als ein politisch stabiles, wirtschaftlich erfolgreiches und außenpolitisch kompromissbereites Land, geführt seit zwölf Jahren von "der mächtigsten Frau der Welt". Nun hat sich das Bild atemberaubend schnell verändert: Unter einer lange trügerisch ruhigen Oberfläche sind seit dieser Wahl die von der AfD auch geschürten Gefühle der Angst und der Verunsicherung und der in breiten Schichten, vor allem in Ostdeutschland, aber nicht nur dort brodelnde Zorn gegenüber Angela Merkel offensichtlich geworden.

Angesichts der Abwendung von rund einer Million früherer CDU-Wähler zugunsten der Rechtspopulisten wegen der sprunghaften Flüchtlingspolitik der Kanzlerin kann man kaum bestreiten, dass sie die Hauptverantwortung für die Stimmenverluste ihrer Partei trägt. Statt der von Peter Sloterdijk vorausgesagten Betäubung der Bevölkerung durch das "Chloroform der Langeweile als politische Kraft" gelang es Merkel doch nicht, "in der Mitte mehr hinzugewinnen, als sie rechts außen verliert" (NZZ 18. 9.). Ein wichtiger Faktor war dabei zweifellos der eindrucksvolle Wiedereinzug der liberalen FDP in den Bundestag mit einem Stimmenanteil von mehr als zehn Prozent.

Mitverantwortlich für das schlechte Abschneiden der CDU/ CSU ist nicht zuletzt der bayerische Ministerpräsident Seehofer, der, so sein Vorgänger an der Parteispitze Huber, Angela Merkel mit einem Bein unterstützt, mit dem anderen attackiert habe. Nun hat der um politisches Überleben kämpfende Seehofer nach dem größten Debakel in der Geschichte der CSU, vor den Landtagswahlen im Frühjahr, einen harten Kurs in der Flüchtlingspolitik angekündigt. Angesichts des sich anbahnenden Machtkampfes innerhalb der CSU könnte sich die bayerische Schwesterpartei als das Haupthindernis bei der Bildung einer neuen Koalitionsregierung entpuppen.

Die Sozialdemokraten haben einen hohen Preis für ihre allgemein anerkannte konstruktive Rolle in der Merkel-Regierung bezahlt. Ohne persönliche und programmatische Erneuerung kann ihr Niedergang auch in der Opposition nicht aufgehalten werden. Angesichts der Entzauberung der geschwächten Kanzlerin und der großen politischen Gegensätze zwischen den einzig möglichen künftigen Koalitionspartnern droht zumindest in den nächsten Monaten eine folgenschwere Lähmung des Kernlandes der EU. (Paul Lendvai, 25.9.2017)