Helena sucht Körperkontakt: Nicole Chevalier (Mitte).

Foto: Iko Freese

St. Pölten – Die Saison hat begonnen, und obwohl die Staatsoper erst folgt (4. 10. Premiere von Prokofjews Der Spieler), darf eine erste Musiktheaterbilanz gezogen werden: Nachdem Volksoper, Theater an der Wien und die Musicalbühne ihre Neuheiten abgefeuert haben, ist dabei festzuhalten, dass St. Pölten mit Die schöne Helena - trotz Konkurrenz – den Qualitätskracher nahegebracht hat.

Es ist ein Reiseunternehmen zu loben, das zwar leider wieder unterwegs ist in die deutsche Hauptstadt, wo es als Komische Oper Berlin lebt. Regisseur Barrie Kosky bescherte dem Festspielhaus jedoch einen Abend virtuoser Hysterie, der haften bleiben wird. Die bis ins kleinste Detail präzis durchdachte Revue des schrillen Gehabes verdankt der Tanztruppe (Choreografie Otto Pichler) ausgelassenste Momente.

Helena, die auf der Suche nach jenem Glück der Horizontale ist, das ihr Gatte Menelaus nicht liefern kann, mutiert zudem zum quirligen Ereignis. Bei Kosky wird die Dame zur Puppe an der Steckdose der Begierde, der nebst vornehmer Sätze auch Tierlaute und schmatzende Aufforderungen zur Nähe entschlüpfen (grandios Nicole Chevalier). Tenor Paris, der sie – als Geistlicher getarnt – entführen wird (die Folge: Trojanischer Krieg), ist gelassener unterwegs (tadellos Tansel Akzeybek).

Um das Paar herum jedoch spielen sich Wellen akrobatischer Komik mit besonderer Berücksichtigung exakten Timings und hoher Tempos ab. Rollschuhballett, bewegliche Chorskulpturen und ein formidables Tonkünstlerorchester unter Stefan Soltesz tragen maßgeblich zur Qualität bei. Wobei: Klänge von Wagner, Beethoven, Mahler werden auch hineingemixt; es erschallen die Chansonstimmen von Aznavour und Piaf.

Kosky nimmt sich Freiheiten aller Art, nutzt sie jedoch exzellent. Solch Stil wäre auch Wien zu wünschen, wo versucht wurde, Kosky für die Vereinigten Bühnen (Musical plus Oper) zu holen. Er hat abgesagt, als Regiegast sollte er aber jedem willkommen sein. (Ljubiša Tošić, 26.9.2017)