Der wahnwitzige Zorn von Machthaber Kim Jong-un richtete sich nicht nur gegen US-Präsident Donald Trump, der ihn zuvor beleidigt hatte. Nordkoreas Diktator beschimpfte – und zwar direkt – seinen bisherigen Verbündeten China, obwohl es die einzige Macht ist, die noch versucht, zugunsten Pjöngjangs zu vermitteln. Die Nachrichtenagentur KCNA schmähte nun die jüngsten UN-Resolutionen und Sanktionen als "schmutzige Exkremente von Reaktionären".

Zu den Reaktionären gehöre auch China. Habe Peking vergessen, wie es war, als es in den 1960er-Jahren seinen ersten Atomwaffentest unternahm? "Die Sowjetunion, die USA und die gesamte Welt verurteilten und denunzierten damals China dafür. Nur Nordkorea unterstützte Peking." Pjöngjang habe Peking auch 1972 den Rücken gestärkt, als US-Präsident Richard Nixon China besuchte. Heute mache Peking vor US-Präsident Donald Trump den Kotau.

Die Global Times ließ die Vorwürfe nicht auf sich sitzen und konterte: Die Uno-Sanktionen seien einstimmig aufgrund von Nordkoreas Provokationen beschlossen worden. "Im Internet wächst der Ärger der Chinesen über Nordkorea. Wenn die Bevölkerung keine Sympathie für Pjöngjang mehr hat, dann würde die Pekinger Regierung alle Unterstützung durch die öffentliche Meinung verlieren, weiter Beziehungen mit Nordkorea zu erhalten."

Der chinesische Nordkorea-Experte Zhang Liangui, der an der ZK-Parteihochschule lehrt, sagte zum STANDARD, dass das Kim-Regime "offenbar entschlossen ist, mit China zu brechen. Die Lage wird dadurch noch angespannter. Nordkoreas Führung verhält sich, als ob sie größenwahnsinnig geworden ist – so, als ob sie bereits eine atomare Großmacht ist, vor der sich die USA und China zu fürchten haben."

Den Nerv getroffen

Die publizistischen Angriffe gegen Peking zeigen aber auch, wie sehr die jüngsten Sanktionen erstmals den Nerv des Regimes treffen. Denn Peking scheint seine Schrauben anzuziehen und lässt das überprüfen: Seit Sonntag stehen auf der Webseite seines Handelsministeriums individuelle Verpflichtungserklärungen, die alle Exportunternehmen des Landes unterschreiben müssen, die bisher Nordkorea belieferten. So soll überprüft werden, dass sie den UN-Sanktionen folgen. Ebenfalls werden alle Textilprodukte und Warengruppen im Detail genannt, die nicht mehr aus Nordkorea eingeführt werden dürfen.

Zhu Feng von der Nanking-Universität beziffert Nordkoreas Textilexporte nach China für 2013 bis 2016 auf durchschnittlich 762 Millionen US-Dollar pro Jahr. In der Zeitschrift Caixin stellt er die Frage, wie lange Pjöngjang solche Einbußen noch verkraften kann. Denn mit den ab Oktober startenden neuen UN-Sanktionen werde sein offizieller Gesamthandel zu 90 Prozent sanktioniert. So dürfen auch die nordkoreanischen Vertragsarbeiter im Ausland ihre Löhne nicht mehr über Banken nach Hause überweisen. Das Regime Kim verliere den Zugriff auf die Devisen. 2016 schickte es 93.000 Billigarbeiter ins Ausland, sie überwiesen 500 Millionen US-Dollar nach Hause.

Am 1. Oktober muss China auch seinen Export an Flüssiggas und Ölprodukten gemäß den von den UN gesetzten Quoten drosseln. Die Lieferung von Rohöl ist davon nicht betroffen. "Die Nordkoreaner werden erst dann unsere Sanktionen richtig spüren, wenn wir ihnen auch das Öl abdrehen", sagt Experte Zhang. Wann das sein wird und wo Pekings rote Linie liegt, weiß er nicht.

Für Aufsehen sorgte Mitte September auch Jia Qingguo von der Universität Peking. Er schrieb im East-Asia Forum, dass die USA und Südkorea seit langem versuchten, mit China für den Krisenfall zu planen; doch Peking habe das immer abgelehnt. Die Zeit sei überfällig, um umzudenken und sich "auf den schlimmsten Fall vorzubereiten". Der Aufsatz führte im Internet zu wütenden Angriffen auf Jia durch sogenannte chinesische Patrioten und Ideologen. Dennoch: Chinas Führung, die den Ausbruch eines Krieges verhindern will, gerät unter Zugzwang, neue Lösungen für Nordkorea zu finden. Das Thema steht ganz oben auf der Tagesordnung, wenn Trump Anfang November zum ersten Staatsbesuch in Peking eintrifft. (Johnny Erling aus Peking, 26.9.2017)