ÖVP-Wahlkampagne "für die Fleißigen".

FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER

Unter dem Motto "Es ist Zeit" plakatiert die neue ÖVP "Wieder mehr für die Fleißigen tun." Den nachdenkenden Betrachter muss dieser Satz ob seiner Widersprüche irritieren. Denn: Wenn jemand fleißig ist, dann tut er ja alles selbst und braucht keine Hilfe. So wird es denn in unserer Gesellschaft gewöhnlich doch Leuten vorgeworfen, wenn sie man für sie etwas "tun" muss. Diese nennt man dann die Faulen und bezeichnet sie als diejenigen, die in der "sozialen Hängematte" liegen. Und gerade dadurch, dass man für sie etwas "tun" muss, stehen sie normalerweise im Kontrast zu den Fleißigen. Diese kennzeichnen sich wiederum dadurch, dass man für sie eben "nichts" tun muss.

Was soll dann also dieser Spruch auf dem Plakat heißen? Wie kann es dann also sein, dass der Staat der ÖVP zufolge etwas für die Fleißigen "tun" muss? Offenkundig kann und soll er gerade der Weltanschauung der Fleißigen selbst zufolge ja "nichts" für sie tun. Dass man für sie "nichts" tun müsse, sondern nur für die anderen, die Faulen, darauf gerade gründet sich ja ihr Dünkel.

Politik als bestimmte Negation von Politik ...

Das scheint widersinnig. Einen Sinn bekommt dieses "Nichtstun" allerdings, wenn man es im Hegelschen Sinn nicht einfach als bloße Untätigkeit auffasst, sondern als bestimmte Negation. Das "Nichtstun" des Staates nicht im Sinne dessen, dass einfach nichts getan werden soll. Sondern im Sinne von "etwas nicht tun".

Gemeint ist also keine Politik, aber auch nicht einfach gar keine Politik, sondern die bestimmte Negation von Politik. Propagiert wird ein Staat, dessen Aufgabe paradoxerweise gerade darin bestehen soll, soweit wie möglich nichts zu tun, sich zurückzuziehen und das Feld den Fleißigen zu überlassen, die sich dann die Welt erobern dürfen. In der harmlos klingenden Hymne auf die Fleißigen wird also in Wahrheit nicht weniger als der Klassenkampf ausgerufen!

Es ist aber der Klassenkampf von oben. Diejenigen, die sich entsprechend der herrschenden Ideologie als die Fleißigen bezeichnen können, lancieren hier eine Politik, die ihren Interessen entspricht. Zementiert werden sollen eine Macht und ein Reichtum, die sie sowieso schon haben.

Die Politik, die sie sich wünschen, stellt eigentlich eine Art Anti-Politik dar. Eine Politik des Sozialdarwinismus. Statt Eingreifen und Umverteilen also eine neoliberale Politik. "Verschlankung" und Abbau von Ausgaben insbesondere im Bereich des Sozialstaats bei gleichzeitiger Senkung von Steuern für die Besserverdienenden, – die ja nur deswegen die Besserverdienenden sind, so wird uns von eben derselben herrschenden Ideologie beständig weiß gemacht, weil sie eben die Fleißigeren sind, und für die man paradoxerweise trotzdem nun doch endlich etwas tun muss.

... und als Tautologie des Bestehenden

Eingedämmt werden soll eine Politik, die etwas gegen ihre Macht tut und ihnen etwas "wegnimmt". Eingedämmt werden soll aber auch eine Politik, die anderen etwas im Gegenzug gibt. Stattdessen wird eine Politik beworben, die dem entspricht, was man in der Soziologie den Matthäus-Effekt nennt: "Wer hat, dem wird gegeben".

Nichts anderes ist es, was sich auch hinter markigen neoliberalen Sprüchen wie "Leistung soll wieder zählen" verbirgt. Denn wenn jemand sich wirklich alles, was er hat, durch seine "eigene" Kraft und Leistung, wie dabei immer stolz behauptet wird, selbst erarbeitet hat (was ohnehin selten stimmt, denn das meiste wird immer noch familiär vererbt) – wieso braucht er dann noch jemanden anderen, für den das "zählt"? Wieso braucht er dann eine Politik, die darüber hinaus noch zusätzlich etwas für ihn "tut"?

Hilfe und Unterstützung, so sollte man meinen, bräuchten doch ganz im Gegenteil diejenigen, die es, aus was für Gründen auch immer, nicht allein schaffen oder geschafft haben, diejenigen, die eben nicht in der Lage sind oder waren, sich etwas aus der sogenannten "eigenen" Kraft aufzubauen – diejenigen also, die von unserer Gesellschaft als die Faulen bezeichnet werden.

Wenn aber Erleichterungen gerade für diejenigen vorgesehen sind, die ohnehin schon erfolgreich sind, und Steuersenkungen für diejenigen geplant werden, die sowieso schon reich sind, dann ergeben derartig widersinnige Slogans auf einmal einen, wenn auch perversen, Sinn.

Politik jedoch wird auf diese Art und Weise nicht lediglich abgeschafft und negiert, sie wird vielmehr zur bloßen Tautologie und Verstärkung des Bestehenden abgestellt. Was dabei entsteht, ist durchaus auch ein Sozialstaat. Aber ein Sozialstaat für die Reichen. (Ortwin Rosner, 26.9.2017)