Arnon Grünberg ist "Der Ersatzvater".

Kollage: Armin Karner

"Heute Nacht habe ich geträumt, dass mein Sohn geboren wurde", sagt Marjolein. "Er war sehr groß und hieß etwas mit Br."

"Br", erwidere ich, "interessant."

Die beiden Großen müssen heute in den Kindergarten. Um acht Uhr geht’s aus dem Haus. Ein strikter Zeitplan.

Während ich noch auf dem Sofa sitze und über den Traum nachdenke, ruft Marjolein: "Eine Aufgabe für den Ersatzvater! Könntest du Zoras Windeln wechseln?"

Ich renne ins Badezimmer. Das Gefühl, zu viel mit dem Schreiben und zu wenig mit der Ersatzvaterschaft beschäftigt zu sein, lässt mich nicht los.

Ich lege Zora auf die Wickelkommode und flüstere ihr süße Wörter ins Ohr.

"Du musst sie anders hinlegen", sagt Marjolein.

Wie in jedem Haushalt gelten auch hier strenge Regeln. Einmal habe ich beim Zähneputzen das Wasser zu lange laufen lassen, und Marjolein drehte sofort ein wenig genervt den Hahn zu.

Vollkommen ratlos

Die Windel ist ab. "Wir benutzen keine Feuchttücher", ruft Marjolein aus der Küche. "Wir nehmen Watte."

"Soll ich sie eincremen?", rufe ich zurück.

"Puder."

Ich finde Watte. Solche Watte benutzt meine Freundin zum Abschminken. Ich brauche sehr viel davon, und der Nachteil ist, dass die Watte zwischen den Pobacken stecken bleibt, sodass ich sie wieder herausholen muss. Vollkommen ratlos wische ich die Reste schließlich mit warmem Wasser ab. Danach geize ich nicht mit Puder, denn das kommt mir gesund vor.

Wir fahren mit den Fahrrädern zum Waldorf-Kindergarten. Marjolein mit ihrem Lastenrad, in dem die beiden Kleinsten sitzen, die beiden Älteren mit eigenen Rädern und ich auf einem Damenrad, das etwas zu groß für mich ist.

Die Kindergärtnerin Marieke, die sich eigentlich auch anmelden wollte, um mich als Ersatzvater aufzunehmen, schließlich aber doch davon absah, nicht zuletzt, weil ihre Kinder fast aus dem Haus sind, begrüßt jeden Schützling mit beiden Händen und einer Streicheleinheit. Das berührt mich. So würde ich auch gern täglich von einer sanftmütigen Autorität begrüßt werden.

Heute ist Elternabend

Es wird gesungen. Manche Eltern singen laut mit.

"Heute ist Elternabend", sagt Marjolein, "bist du auch dabei?"

"Natürlich."

Ich bin Marjoleins Wurmfortsatz, aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass viele Väter die Wurmfortsätze der Mütter ihrer Kinder sind, obschon manch einer versucht, das zu tarnen, indem er sich einen Bart stehen lässt.

Fortsetzung folgt morgen.

(Arnon Grünberg, 26.9.2017)