Wiens Goldenes Quartier: Bemühen um einen lockereren Branchenmix.

APA

Wien – Die Fassaden glänzen wie am ersten Tag, den Geschäften dahinter fehlt es an Leben. Fünf Jahre ist es her, seit die ersten Luxusketten in Wiens Goldenes Quartier einzogen. Sie legen monatlich 400 Euro und mehr für den Quadratmeter auf den Tisch und banden sich vielfach für zehn Jahre. Betreiber Signa spricht von zufriedenen Mietern und Strahlkraft für die gesamte Innenstadt. Händler selbst sehen den erhofften Zustrom betuchter Kunden bei Konzernen wie Louis Vuitton enden.

Nur wenige verirrten sich in die fein herausgeputzte Seitzergasse. So manche Edelmarke soll ihre Verkaufsflächen bereits reduziert haben. Cavalli schloss im Zuge eines europaweiten Sparkurses und angesichts magerer Erträge in Wien die Pforten seines fast neuen Flagshipstores gleich ganz. Christoph Stadlhuber wischt das dem Quartier seit Jahren anhaftende unvorteilhafte Bild der schwachen Frequenz aber energisch vom Tisch.

Zum einen zielten seine Mieter nicht auf den großen Kundenansturm ab, zum anderen passe der Umsatz, betont der Chef der Signa. "Die Flächen sind vollvermietet." Im Übrigen sei ein Händler, der nicht jammere, kein Händler.

Marmor statt Mülleimer

Branchenexperten vermissen in dem Grätzel hingegen einen lockereren Branchenmix – zulasten weniger ertragreicher Mietverträge. Stadlhuber räumt ein, dass es zu riskant sei, nur hochpreisig zu agieren. Es gelte sich auch hier breiter aufzustellen – was auch gelungen sei, wie er versichert: Seit September bietet Fleurs de Paris konservierte Rosen. Im Oktober eröffnet auf 600 Quadratmetern das asiatische Restaurant Aï. Im November startet Amicis eine Modefiliale. Der Immobilienentwickler erinnert an Mülleimer und kaputte Kopfsteinpflaster, die das Viertel vor den Investitionen der Signa säumten. Dass es Zeit brauche, bis sich das Ganze einspiele, liegt für ihn auf der Hand.

Marktkenner gehen von weiteren fünf bis zehn Jahren aus. Zumal reiche Russen nach wie vor weit weniger in Wien einkaufen, als sie es vor der Rubelkrise zu tun pflegten, und auch die arabische Klientel jüngst eher ausließ. Das Goldene Quartier sucht einstweilen jedenfalls Anschluss an den Rest des Wiener Handels. Lange verhielt es sich nach außen hin wie ein eigener Stadtteil, was bei vielen seiner Nachbarn für böses Blut sorgte. Nun will es kooperieren.

Ende der Kleinkriege?

Geplant ist eine Arbeitsgemeinschaft, die die Straßenvereine und großen Händler des Ersten Bezirks an einen Tisch bringt. "Die Konkurrenz sind Zürich, Barcelona, Madrid, Mailand", meint Stadlhuber. Gelinge es nicht gemeinsam aufzutreten, bleibe man in Kleinkriegen und Kleinsegmenten stecken.

Florian Jonak, Obmann der Vereine Kohlmarkt und Graben, bestätigt das Bemühen um eine neue Plattform. "Themen wie Ladenöffnung, Parkplätze, Festivitäten und Demozonen gehören künftig einfach gemeinsam gelöst", sagt er im Gespräch mit dem STANDARD. Es brauche ein einheitliches Marketing und Management der City.

Auf nahezu einer Linie sind die beiden etwa, was eine Tourismuszone in Wiens Zentrum und damit verbundene Sonntagsöffnung betrifft. Wie Stadlhuber hält auch Jonak sie für notwendig. Allerdings nur unter aus seiner Sicht richtigen Voraussetzungen: "Akzeptable Arbeitsbedingungen für Unternehmer." Die derzeitigen Lohnzuschläge für Sonntagsarbeit hält er für "deutlich überzogen".

Wollzeile in der Abwärtsspirale

Hania Bomba, Chefin des Handelsberaters Regioplan, sieht in der Wiener Innenstadt im Handel eine Kluft aufgehen. Schon zehn Meter abseits der Trampelpfade der Kunden reichten aus, um das Schicksal einer Randlage zu erleiden, warnt sie. Der Handel verliere seine Strahlkraft als Frequenzbringer und generiere seine Umsätze anderswo, etwa im Internet. Gastronomie sei ein Weg, um ein neues Viertel aufzuwerten. "Aber es braucht als Betreiber Zeit, Geld und Nerven, um die eine oder andere Talfahrt zu überstehen."

Verliere eine Lage einmal an Bedeutung, sei der Verlust an Kunden nur noch über einen Kraftakt zu stoppen. In einer Abwärtsspirale befindet sich ihrer Meinung nach etwa die Wiener Wollzeile, in der sich die Leerstände mehren. Sie ist ein Sorgenkind, bestätigt Jonak. Er ortet hier Chancen für jüngere Konzepte, die aber der Immobilienmarkt zunichtemachte.

"Die Mieten sind zu hoch, und das zerstört die Innenstadt. Wien muss aufwachen und mehr anbieten als Gold und Glitzer." (Verena Kainrath, 28.9.2017)