Familienunglück: Petra Morzé, Irina Sulaver, Bernd Birkhahn.

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Wien – "Ich weiß nicht, wohin mit mir", wird Hilde (Petra Morzé) nach eineinviertel Stunden ihr Dilemma auf den Punkt bringen. Der Gatte (Bernd Birkhahn) und die Tochter (Irina Sulaver) liegen vergiftet neben ihr. Ein einsamer Schluss. Ein kleines Stück führt im Burgtheater-Kasino darauf zu. Kartonage spielt in einer hölzernen Box. Eingerichtet hat Michaela Flück jene mit einer Eckbank und einer Kochstelle. Auf der steht ein großer Topf.

Mehr braucht Hilde ja nicht zur Zubereitung von trockenem Brot mit selbst eingekochter Marillenmarmelade. Tagaus, tagein füttert sie damit ihren Werner. Nicht nur weil das orange Glibberzeug so gut schmeckt. Es ist auch die Rache der Hausfrau am Gatten, deretwegen es den Menüplan dominiert.

Delikat grausames Gespann

Morzé und Birkhahn sind ein delikat grausames Gespann. Werner schläft grunzend im Stehen ein, Schritte muss er tattrigen Beinen abringen. Aber sie folgen brav dem Klopfen von Hildes Fingern auf den Küchentisch. Sie dirigiert ihn auch mit Ohrfeigen. Ihr falsches Lachen flackert mit gelbblondem Haar (Kostüme: Korbinian Schmidt) um die Wette.

Denn mehr ist ihr nicht geblieben. Seit Tochter Rosalie vor einem halben Leben einen Autounfall mit Todesfolge gebaut hat, haben die Eltern die Wohnung nicht mehr verlassen. Denn draußen warten Schimpf und Schande, lässt Hilde ihren Werner seit nunmehr 16 Jahren wissen. Nicht einmal ein Fenster braucht man also, um sich abzukapseln. Nichts herein- und sich auf nichts einlassen. Zwei Leben ruiniert.

Grell, laut, lustvoll

Und eins vom Vater verstoßen. Fort aus dem Kaff wollte Rosalie aber sowieso. Sie kehrt nun zu Besuch heim. Durch die Decke schlägt sie in dem von Franz-Xaver Mayr orchestrierten Irrenhaus auf. Und wird zur Bedrohung für den mütterlichen Kleinkrieg, in dem der Vater zur Strafe für das zerstörte Familienglück mit giftigen Beeren im allgegenwärtigen Aufstrich ruhiggestellt wird.

Grell, laut und lustvoll inszeniert Mayr. Prächtig zelebriert das Darstellertrio seine grotesken, exzentrischen Kleinigkeiten. Hilde – "Wernereins" und sie selbst nennen sie inzwischen "Wernerzwei" – muss sich in ihrem Fatsuit etwa die Polsterbrust lecken lassen. Sie sind zwei in Hilf- und Alternativlosigkeit aneinander Gebundene. Ein wenig denkt man an Samuel Becketts Endspiel. Frieden findet Hilde einzig mit dem Andachtsjodler auf den Lippen.

Was wir tun, tun wir nur, um uns heute für morgen eine Vergangenheit zu schaffen, schickt Yade Yasemin Önder ihrem Stückdebüt sinngemäß voran. Per Video (von Sophie Lux) wird der Aufführung Rosalies öde Jugend zugespielt. Sie zeigt: Wir tun Dinge auch, um nicht schon im Jetzt vor Langeweile zu vergehen. Gefahr gebannt. (Michael Wurmitzer, 29.9.2017)