Bild nicht mehr verfügbar.

Die Regierungsparteien wollen einen milliardenschweren Rettungsschirm für die Versicherungen aufspannen.

Foto: dpa/Arno Burgi

Wien – Kein Wunder, dass die Versicherungen alle Hebel in Bewegung setzen, um einen riesigen Schaden bei den Rücktrittsrechten von Polizzen abzuwenden. Allein die rund 7.400 Fälle, die der Verein für Konsumenteninformation (VKI) bei sich liegen haben sollen, könnten eine Millionenlast auslösen. Denn beim Rücktritt müssen die einbezahlten Prämien mit vier Prozent rückvergütet werden, was im Vergleich zu einer Kündigung (wo man vereinfacht gesagt nur den Rückkaufswert erhält) einen beachtlichen Mehrwert ergibt.

Wie berichtet haben die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP eine Gesetzesvorlage eingebracht, welche das unbefristete Rücktrittsrecht bei Lebensversicherungen aushebeln soll. Dieses wird derzeit Konsumenten eingeräumt, falls sie bei Vertragsabschluss nicht oder mangelhaft über die gesetzlichen Regelungen über einen Rücktritt belehrt wurden. Laut VKI soll dies bei der Mehrzahl der von ihm überprüften Polizzen der Fall gewesen sein. Beschlossen werden soll die Novelle des Versicherungsgesetzes wenige Tage vor der Nationalratswahl.

Oliver Lintner, Sachverständiger für Lebensversicherungen, geht davon aus, dass dieser Mehrwert bei den VKI-Fällen zwischen 2.000 bis 5.000 Euro liegen wird. Das schafft für die Versicherungen schon einen Aufwand zwischen 14,8 und 37 Millionen Euro. Hier sind freilich jene Fälle, die bei diversen Anlegeranwälten und Prozessfinanzierern wie etwa der Advofin liegen, noch nicht eingerechnet.

"Mehr als unlustig"

Ein Insider, der anonym bleiben möchte, fasst die Situation so zusammen: "Setzt sich die Rechtsansicht der Konsumenten durch und nutzt nur die Hälfte der Kunden das Rücktrittsrecht für eine Rückabwicklung des Vertrages aus, wird sich das nicht ausgehen."

Dass die Situation für die Versicherer in der Sparte Leben mehr als unlustig ist, zeigt auch der Umstand, dass die Finanzmarktaufsicht (FMA) bereits vor vier Jahren die Assekuranzen angewiesen hat, bis 2021 eine Zinszusatzrückstellung von zwei Milliarden Euro zu bilden. Dies, damit sie die Garantiezinsversprechungen aus den Altverträgen erfüllen können, weil im aktuellen Niedrigzinsumfeld für die zur konservativen Veranlagung gezwungenen Häuser die Prämien kaum gewinnbringend veranlagt werden können.

Zu dieser Belastung – per Ende 2016, also zum letzten Bilanzstichtag, war diese Rückstellung mit 540 Millionen Euro dotiert – kommt jetzt also noch jene, die sich aus den lebenslangen Rücktrittsrechten bei falscher oder fehlender Belehrung beim Versicherungsabschluss ergibt. Es könnte aber noch dicker kommen: Der Verein zum Schutz von Anlegerinteressen (VSA) geht in einer aktuellen Berechnung davon aus, dass (per Stand 2012) 9,8 Millionen Polizzen im Bereich Leben mit einer Gesamtveranlagung von mehr als 67,6 Milliarden Euro in Kraft waren.

Drohpotenzial 13,5 Milliarden Euro

Davon wären 8,2 Millionen Verträge von der neuen Gesetzesinitiative betroffen mit einem durchschnittlichen Vertragswert von 8.239 Euro. Das neue Gesetz würde – weil damit ja auch die Berechnungen für die Rückzahlung geändert würden – im Schnitt den Vermögensanspruch pro Person um 1.650 Euro verringern.

Der VSA spricht in diesem Zusammenhang von einer "kalten Enteignung der Konsumenten" von mehr als 13,5 Milliarden Euro. In dem Papier vom VSA heißt es zudem, dass Österreich mit dem neuen Gesetz "gegen eine ganze Reihe europäischer Rechtsprinzipien wie etwa den Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber nationalem Recht" verstoßen würde. Denn mit dem Urteil vom EuGH aus 2013 bestünde ohnehin Rechtssicherheit.

Staatshaftung angedroht

Rechtsanwalt Markus Weyer spricht in diesem Zusammenhang von einer "glatten Umkehrung der Tatsachen", wenn Versicherer sagten, sie wollten Rechtssicherheit schaffen. Die Versicherer würden mit dem neuen Gesetz "auf einen Schlag ihre Sorgen los". Laut Weyer ließe sich daraus gar eine "Beihilfe" für die Versicherungen ableiten – ähnlich wie die Beihilfen zur Bankenrettung in der Finanzkrise.

Ließe man es darauf ankommen, käme auch das Thema Staatshaftung hinzu. Denn "sollte sich der österreichische Gesetzgeber an die Grundregeln des europäischen Rechts nicht gebunden fühlen, so muss er für den dadurch entstandenen Schaden selbst einstehen und haften", so der VSA. Im Zuge dieser Debatte ruft nun auch die Arbeiterkammer dazu auf, das Gesetz nicht im Schnellverfahren zu beschließen. Aus der Versicherungswirtschaft heißt es dazu, dass man um die Rechtsunsicherheit schon lange bemüht sei. Dass das jetzt zeitlich mit der Nationalratswahl zusammenfalle, sei ein unglücklicher Zufall. (Bettina Pfluger, 29.9.2017)