Wie steht es um die Eigenverantwortung? Moderiert von Renata Schmidtkunz (Ö1 / Dritte von rechts) begab man sich auf Spurensuche.

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Wien – Ob Krieg, Klimawandel, Migration oder Flucht und Vertreibung: Wo beginnt die Verantwortung des Einzelnen? Und vor allem: Wo endet sie? Bei der Familie? Beim Nachbarn? Im eigenen Land?

Die Fragestellung der vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), der Erste-Stiftung, dem Burgtheater, der deutschen Botschaft und dem STANDARD organisierten Matinee im Rahmen von "Europa im Diskurs" lautete daher auch: "Wie steht es um die Verantwortung in einer digital-globalen Welt?".

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Anlässlich des Reformationsjahres – vor 500 Jahren veröffentlichte Martin Luther seine Thesen – suchten am Sonntagvormittag im Burgtheater neben dem evangelischen Bischof Michael Bünker die Politologin Ulrike Guérot, die Soziologin und IWM-Leiterin Shalini Randeria, die Friedensaktivistin und evangelische Theologin Viola Raheb und Heide Schmidt, Ex-Chefin des Liberalen Forums, nach Antworten.

Keine Grenzen

Moderatorin Renata Schmidtkunz, Leiterin der Ö1-Sendereihe Im Gespräch, stellte dafür an den Beginn ein Luther-Zitat: "Hier stehe ich und kann nicht anders." Wie relevant sei das Einstehen für die eigene Ansicht, das Gewissenhaben, in einem Land wie Österreich, wo etwa Rede- und Pressefreiheit herrsche? Für Heide Schmidt werden hier Theorie und Praxis vermischt. Denn in der "Praxis wird das nicht immer gelebt". Schmidt warnte auch davor, dass eine Stimmung erzeugt würde, als "ob Verantwortung an einer Grenze aufhört".

Politologin Guérot und Soziologin Randeria sehen vor allem eine gesellschaftliche Veränderung. Wir würden in einer "individualistischen und zerbröckelten Gesellschaft" leben, sagte Guérot. Randeria sprach davon dass Gesellschaft mehr als Familie begriffen werde, und dies lasse andere Bindungen zu: "Ich kann Leute ausschließen, sagen, sie gehören nicht zur Familie." Der Fortschrittsglaube sei jedenfalls passé, folgerte Bünker und stellte die Frage, "wie wir es bewerkstelligen, allen Menschen im Land ein zuträgliches Leben zu ermöglichen". Schmidt hatte davor ihren Ansatz deponiert: mit einem bedingungslosen Grundeinkommen.

An den Rand Gedrängte

Wobei die Grenzen, die angesprochen würden, nicht nur Ungerechtigkeiten bezüglich anderer Länder auf der Welt seien, sagte Theologin Raheb: "Die an den Rand Gedrängten gibt es auch hier – nicht nur in Afrika." Und, folgerte sie: "Was heißt das mit Blick auf den 15. Oktober, also die Nationalratswahl?" Ein Punkt, den die Diskutanten allesamt aufgriffen. So wies Soziologin Randeria auf die bestehenden Einengungen des Wahlrechts hin: "Ich zahle Steuern in Deutschland, Österreich und der Schweiz – und nirgendwo darf ich wählen." Dies betreffe hunderttausende Migranten in ganz Europa.

Heide Schmidt ging insofern darauf ein, dass jemand, der für sein Gewissen eintrete, negative Konsequenzen fürchten müsse – auch in der Politik. Im Konkreten nannte sie als Beispiel, dass ein Abgeordneter nicht mehr von seiner Partei aufgestellt werden könnte. Ohne ihn zu nennen, kritisierte sie diesbezüglich ÖVP-Obmann Sebastian Kurz: "Wenn alle von einem Chef besetzt werden, ist das strafverschärfend."

Während für Guérot "die autoritäre Versuchung wieder Thema ist", warnte Bünker vor dem Sozialabbau, doch er sagte auch: "Ich bin kein Optimist, aber von unzerstörbarer Hoffnung." Der Nachsatz kam von Viola Raheb: "Hoffnung ist, was wir tun." (Peter Mayr, 2.10.2017)